Sierra Leone und Liberia: Schwere Landkonflikte wegen Plantagen mit Schweizer Beteiligung

Ein Monat nach gewaltsamen Vorfällen in der Gegend der SOCFIN-Plantagen in Sierra Leone, die zum Tod von zwei Menschen und zu brutaler Repression durch die Sicherheitskräfte führten, fordert eine Koalition von sierra-leonischen und internationalen Organisationen die Regierung von Sierra Leone dringend auf, die Repression gegen die LandrechtsverteidigerInnen sofort zu beenden und zusammen mit dem Unternehmen eine dauerhafte Lösung für die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen zu finden, unter denen die lokalen Gemeinden leiden.

Seit 2011 hat das multinationale Unternehmen SOCFIN mehr als 18’000 Hektar Land für industrielle Palmölplantagen im Malen Chiefdom (Bezirk Pujehun, südliches Sierra Leone) erworben. Seitdem tobt ein Landkonflikt zwischen SOCFIN, den lokalen Behörden und den betroffenen Gemeinden.

SOCFIN ist in Luxemburg registriert, wo die Generaldirektion die strategischen Entscheide trifft. Das operationelle Zentrum ist jedoch mit sechs Tochterfirmen im schweizerischen Freiburg angesiedelt, von wo aus die Plantagen weltweit geführt werden. Die schweizerische Tochterfirma Sogescol vermarktet den allergrössten Teil der Plantagenprodukte Palmöl und Kautschuk. Weitere Tochterfirmen sind in Belgien angesiedelt.

Luxemburg, die Schweiz und Belgien sind die Heimatstaaten von SOCFIN. Heimatstaaten sind aufgrund der Menschenrechtsnormen verpflichtet, die Bevölkerung in den Gaststaaten der Unternehmen vor der Beeinträchtigung der Menschenrechte durch diese Unternehmen zu schützen und den Opfern Zugang zu Rechtsmitteln zu gewähren.

Der Konflikt in Sierra Leone hat in jüngster Zeit ein neues Ausmass von Gewalt erreicht: Am 21. Januar wurden nach einer Auseinandersetzung zwischen EinwohnerInnen, der Polizei und dem Militär zwei Menschen erschossen. Kurz darauf wurden in den umliegenden Dörfern Polizei- und Militärrazzien durchgeführt. Leute wurden geschlagen, Häuser zerstört und Eigentum geplündert. Hunderte von Menschen flohen aus ihren Häusern. Die Polizei verhaftete 15 Personen und setzte damit eine lange Reihe willkürlicher Verhaftungen und gerichtlicher Schikanen gegen LandrechtsaktivistInnen der Organisation MALOA (Malen Land Owners and Users Association) fort.

Ein Monat nach diesen tragischen Ereignissen veröffentlicht die belgische Sektion der Menschenrechtsorganisation FIAN heute den Bericht «Land Grabbing for Palm Oil in Sierra Leone: Analysis of the SOCFIN Case from a Human Rights Perspective». Der Bericht analysiert die Aktivitäten von SOCFIN in Sierra Leone und zeigt auf, wie das Unternehmen mit Unterstützung nationaler und lokaler Eliten die Bevölkerung erheblich daran hindert, ihre Menschenrechte wahrzunehmen. Zu den betroffenen Menschenrechten gehören die Rechte auf Land, Nahrung, Wasser, Bildung und eine gesunde Umwelt sowie die Rechte von Arbeitnehmenden, Frauen und älteren Menschen.

Der Bericht dokumentiert schwerwiegende Vorwürfe bezüglich Korruption und mangelnder Transparenz: Grosse Geldbeträge, die den Grundeigentümern als Pachtzahlungen zukommen müssten, flossen stattdessen von SOCFIN an lokale Eliten, ohne jegliche Transparenz darüber, wie diese Mittel verwendet wurden. Darüber hinaus deckt der Bericht eine grosse Diskrepanz zwischen den Versprechungen von SOCFIN im Rahmen ihres Aktionsplans zur sozialen Unternehmensverantwortung und der Realität vor Ort auf: Von den 16.4 Mio. US-Dollar, die SOCFIN angekündigt hatte (für Gebäude, Strassen, Schulen, Krankenhäuser, ein Vertragslandwirtschafts-Programm etc.), wurden zwischen 2011 und 2017 lediglich 2.5 Mio. US-Dollar tatsächlich ausgegeben.

Vor diesem Hintergrund fordert eine Koalition von 34 sierra-leonischen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen den Staat Sierra Leone dringend auf:

  • die sich noch im Gefängnis befindlichen LandrechtsaktivistInnen von Malen unverzüglich freizulassen (es sei denn, es liegen eindeutige Beweise für Straftaten vor), alle Formen der Kriminalisierung zu beenden und den Schutz der MenschenrechtsverteidigerInnen zu gewährleisten;
  • die von den Gemeinden in Malen erlittenen Menschenrechtsverletzungen zu beheben und eine dauerhafte Lösung des Konflikts zu finden. In einem ersten Schritt soll die Regierung eine unabhängige und gründliche Untersuchung des Falls durch MenschenrechtsexpertInnen einleiten, die als Grundlage für Massnahmen zur Behebung aller Menschenrechtsverletzungen vor Ort dient.

Darüber hinaus fordern die Organisationen die internationale Gemeinschaft (Afrikanische Union, Vereinte Nationen, die Heimatstaaten von SOCFIN etc.) auf:

  • Massnahmen zum Schutz der MenschenrechtsverteidigerInnen zu ergreifen, einschliesslich einer Überwachung der Situation der inhaftierten Personen und der lokalen Bevölkerung;
  • alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um sicherzustellen, dass SOCFIN die Menschenrechte achtet, Haftung für Menschenrechtsverletzungen übernimmt und für alle Missbräuche im Zusammenhang mit den Geschäften in Sierra Leone verantwortlich gemacht wird;
  • zusammenzuarbeiten und alle verfügbaren Mittel der Diplomatie zu nutzen, um eine dauerhafte Lösung für den Konflikt zu finden, die auf den Rechten und Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung basiert. Insbesondere sollen die Heimatstaaten von SOCFIN – Luxemburg, die Schweiz und Belgien – in einem ersten Schritt die unabhängige Untersuchung durch Motivation, Finanzen und ExpertInnen zu unterstützen.

Neben Sierra Leone ist SOCFIN noch in neun weiteren Ländern in Afrika und Asien tätig. Interessanterweise hat gerade gestern die Rundschau von SRF über den Landkonflikt in Liberia berichtet («Kautschuk für Autopneus: Ein Rohstoffkonzern und seine Methoden»). Grundlage dazu ist der Bericht «Struggle for Life and Land: Socfin’s Rubber Plantations in Liberia and the Responsibility of Swiss Companies» (mit Zusammenfassung auf Deutsch) der entwicklungspolitischen Organisation «Brot für alle», der ebenfalls gestern publiziert wurde.

Die Menschenrechtsverletzungen in Sierra Leone und Liberia entstanden einerseits, da die involvierten Staaten ihrer Verpflichtung zu Achtung und Schutz der Menschenrechte nicht ausreichend nachkamen. Andrerseits führt der involvierte Palmöl- und Kautschukkonzern offensichtlich keine ausreichenden (und immer noch freiwilligen) Sorgfaltsprüfungen gemäss den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte durch. Freiwillige Standards und Massnahmen reichen offensichtlich nicht aus, um die Rechte der lokalen Bevölkerung zu schützen. Deshalb braucht es die Konzernverantwortungsinitiative: Um Schweizer Unternehmen und ihre Tochtergesellschaften rechtlich zu verpflichten, Menschenrechte auch im Ausland zu achten und hierfür angemessene Sorgfaltsprüfungen durchzuführen, und um Opfern eine Klagemöglichkeit zu gewähren.

Medien:

„► Bericht «Land Grabbing for Palm Oil in Sierra Leone: Analysis of the SOCFIN Case from a Human Rights Perspective» von FIAN Belgien

„► Bericht «Struggle for Life and Land: Socfin’s Rubber Plantations in Liberia and the Responsibility of Swiss Companies» (mit Zusammenfassung auf Deutsch) und Pressemitteilung «Kautschuk-Konzern vertreibt Bauern in Liberia» von Brot für alle

► „ Sendung «Kautschuk für Autopneus: Ein Rohstoffkonzern und seine Methoden» der Rundschau SRF vom 20.02.2019

Unterstützende Organisationen:

Organisation Land
Organisationen in Sierra Leone
Amnesty international – Sierra Leone Sierra Leone
Green Scenery Sierra Leone
Human Rights Defenders Network-SL Sierra Leone
Mankind’s Activities for Development Accreditation Movement (MADAM) Sierra Leone
Network Movement for Justice and Development Sierra Leone
Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF) Sierra Leone
Internationale Organisationen
Action Solidarité Tiers Monde Luxembourg
AEFJN International
AEFJN antenne belge Belgique
Association Française d’Amitié et de Solidarité avec les Peuples d’Afrique (AFASPA) France
CNCD-11.11.11 Belgium
Convergence Globale des Luttes pour la Terre et l’Eau – Guinée Guinea
Convergence Globale des Luttes pour la Terre et l’Eau Ouest Africaine Coordination Regionale
COPAGEN Côte d’Ivoire
Ecumenical Association for Sustainable Agriculture and Rural Development (ECASARD) Ghana
Enda Pronat Sénégal
Entraide et Fraternité Belgium
FIAN Belgium Belgium
FIAN Germany Germany
FIAN International International
FIAN Switzerland Switzerland
FIDH dans le cadre de l’Observatoire pour la protection des défenseurs des droits de l’Homme International
Ghana National Convergence Platform of CGLTE-OA Ghana
GRAIN International
OMCT dans le cadre de l’Observatoire pour la protection des défenseurs des droits de l’Homme International
ONG Jeunes Volontaires pour l’Environnement (JVE) Côte d’Ivoire Côte d’Ivoire
ReAct France
Réseau d’information et d’appui aux ONG nationales (RIAO-RDC) Democratic Republic of Congo
SOS Faim Luxembourg
SOS Faim Belgium
Synaparcam Cameroon
SYNTAP Burkina Faso
The Oakland Institute International
West African Human Rights Defenders Network (ROADDH/WAHRDN) West Africa