Die Menschenrechte künftiger Generationen fordern radikales Handeln in der Gegenwart: Dies zeigen die Maastrichter Prinzipien auf.
Maastrichter Prinzipien zu den Menschenrechten künftiger Generationen
Die Welt gehört uns nicht. Wir als aktuelle Generation sind bloss ihre ‚Treuhänder:innen‘, um sie dann in solch einem Zustand an die nächste Generation zu übergeben, dass deren Menschenrechte – z.B. auf einen angemessenen Lebensstandard und auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt – nicht verletzt werden. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse haben wir so zu verändern, dass die nächste Generation nicht in Armut, Hunger, Krankheit und Unterdrückung hineingeboren wird und aufwachsen muss.
Diese im Völkerrecht, in zahlreichen Verfassungen und in Weltanschauungen indigener Völker verankerten Rechte künftiger Generationen und Pflichten heutiger Generationen sind in den Maastrichter Prinzipien zu den Menschenrechten künftiger Generationen konkretisiert worden. An deren Ausarbeitung beteiligte sich FIAN aktiv, da das Recht auf Nahrung künftiger Generationen ganz wesentlich vom heutigen Handeln abhängt. FIAN Schweiz besorgte die deutsche Übersetzung des englischen Originaltexts.
► zu den Maastrichter Prinzipien zu den Menschenrechten künftiger Generationen
► zur Website The Maastricht Principles on the Human Rights of Future Generations
► zum Artikel Neu: Maastrichter Prinzipien zu den Rechten künftiger Generationen von FIAN Deutschland
► zum Artikel Schutz der Rechte zukünftiger Generationen von FIAN Österreich
Worum geht es?
Die Prinzipien behandeln

– und vieles mehr. Nur schon diese erste Übersicht zeigt: Die Prinzipien sind keine abstrakten, abgehobenen, realitätsfremden Grundsätze. Im Gegenteil: Sie fordern – neben der Entwicklung neuer Grundhaltungen – konkrete Strategien, Programme und kurz- bis langfristige Massnahmen.
Wer wird angesprochen?
Die Prinzipien sprechen staatliche Stellen, Vertreter:innen künftiger Generationen, nationale Menschenrechtsinstitutionen, internationale Organisationen und Finanzinstitutionen, Unternehmen und grundsätzlich alle Menschen an.
Warum sind diese Prinzipien wichtig für das Recht auf Nahrung?
Künftige Generationen haben ebensosehr das Recht auf Nahrung und das Recht, frei von Hunger zu sein, wie die lebende Generation. Und sie haben ein Anrecht darauf, dass ihnen diese Rechte nicht schon ab Geburt oder gar schon im Mutterleib verletzt werden. Deshalb sind die jetzigen Generationen dazu verpflichtet, so zu leben, zu handeln und zu wirtschaften, dass die nächste Generation in eine Welt mit ausreichend Einkommen, Nahrung, Obdach, Gesundheitsversorgung, sozialer Sicherheit, politischer Freiheit, Friede und einer gesunden Umwelt für alle hineingeboren wird und aufwachsen kann. Dazu leiten diese Prinzipien an.
Die Umsetzung von Strategien zugunsten der Menschenrechte künftiger Generationen kann bereits die Lebensverhältnisse der jetzigen Generation verbessern.
Wieso sind die Forderungen radikal?
Um die Menschenrechte künftiger Generationen zu gewährleisten, muss die jetzige Generation tiefgreifend, umfassend und schnell handeln, wie folgende Schwerpunkte zeigen:
- Nachhaltigkeit in der jetzigen Generation erreichen:
Die Prinzipien fordern die Beendigung nicht-nachhaltiger Produktions-, Konsum- und Lebensstile. Dazu gehört auch, dass die Staaten den weit überproportionalen Ressourcenverbrauch durch Teile der heutigen Generation korrigieren. Dies betrifft wohl die grosse Mehrheit der in wohlhabenden Gegenden lebenden Menschen mit ihrem überbordenden Lebensstil.
- Krisen und Probleme nicht an die nächste Generation weitergeben:
Die Prinzipien verlangen, dass die Staaten Massnahmen ergreifen, um die Weitergabe von Ungleichheit, Armut und Unterdrückung an die nächste Generation zu verhindern. Die Staaten müssen die strukturellen Faktoren erkennen und beseitigen, die Armut und Ungleichheit für künftige Generationen aufrechterhalten.
Die Bewältigung gegenwärtiger Krisen darf nicht auf künftige Generationen verlagert werden. Dazu gehört z.B., dass die Eindämmung und Behebung des Klimawandels und anderer Formen der Umweltzerstörung nicht auf künftige Generationen abgewälzt werden. Dies erfordert ein ausgeprägtes Vorsorgedenken.
- Ein neue Haltung gegenüber der Erde entwickeln:
Es gilt, auch in den kapitalistisch geprägten Gesellschaften ein Verständnis zu entwickeln, dass uns die Erde nicht einfach gehört und ausgebeutet und kommerzialisiert werden kann. Während ihrer Zeit auf der Erde muss jede Generation als Treuhänderin der Erde für künftige Generationen handeln. Diese Treuhänderschaft muss in Harmonie mit allen Lebewesen und der Natur ausgeübt werden.
- Grosse Aufgaben für die Staaten:
Regierungen, Parlamente und Behörden haben viele Aufgaben anzupacken. Als Grundlage sollen die Menschenrechte künftiger Generationen in der Verfassung anerkannt werden. Den verschiedenen Ebenen und Bereichen des Staates sind Pflichten und Verantwortlichkeiten bezüglich der Verwirklichung der Rechte künftiger Generationen zuzuweisen.
Es sind Institutionen und Mechanismen einzurichten, um Bedrohungen für die Menschenrechte künftiger Generationen zu erkennen und wirksam zu verhindern. Dazu gehört eine Institution, die die möglichen Auswirkungen von Gesetzen, Massnahmen und Regierungsentscheidungen auf die Menschenrechte künftiger Generationen vorab prüft.
Die Staaten müssen alle erforderlichen Massnahmen ergreifen, um die Menschenrechte künftiger Generationen vor erheblichen Risiken zu schützen, die sich aus dem gegenwärtigen Verhalten von Gesellschaft und Wirtschaft ergeben. Unternehmen müssen verpflichtet werden, Umwelt- und Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen im Hinblick auf die Rechte künftiger Generationen durchzuführen.
Auch als Mitglieder internationaler Organisationen – z.B. der Weltbank oder der WTO – müssen die Staaten die Rechte künftiger Generationen berücksichtigen. Sie müssen internationale Handels- und Investitionsabkommen so anwenden, dass sie mit den Menschenrechten künftiger Generationen vereinbar sind, und wo dies nicht möglich ist, bestehende Abkommen kündigen, ändern oder aus ihnen austreten.
Zukünftige Generationen müssen in Entscheidungsprozessen sinnvoll und wirksam vertreten werden: Dazu sind zugängliche und integrative Gremien oder Stellen zu schaffen, bei denen die Vertreter:innen künftiger Generationen wirksam an Entscheidungsprozessen teilnehmen können. Beispiele sind: Ombudspersonen, Schutzbeauftragte, Kommissar:innen; ausgewiesene Sitze in Parlamenten oder Gerichte zum Schutz der Natur und nationale Menschenrechtsinstitutionen.
Die Staaten müssen für einen wirksamen Rechtsschutz sorgen und Klagemöglichkeiten für die Verletzung der Menschenrechte künftiger Generationen zur Verfügung stellen. Die Staaten müssen solche Menschenrechtsverletzungen untersuchen, darüber urteilen und sie wiedergutmachen.
- Warnung an die Staaten:
Die Prinzipien warnen die Staaten vor bestimmten Versäumnissen, die eine Verletzung ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen bedeuten würden. Es sind dies die Versäumnisse,
- – die Aktivitäten von Unternehmen angemessen zu überwachen und zu regeln (Konzernverantwortung!)
- – innerhalb kürzestmöglicher Zeit den Ausstieg aus dem fossilen Treibstoffverbrauch und aus anderen – umweltschädlichen Aktivitäten zu gewährleisten;
- – Schäden aufgrund des Klimawandels abzuwenden, zu minimieren und zu beheben
- – Gesetzgebung, Massnahmen und Programme zur Beseitigung der generationenübergreifenden Weitergabe von Armut und Benachteiligungen zu beschliessen und umzusetzen
Im weiteren warnen die Prinzipien die Staaten davor, zu Vorgängen beizutragen wie z.B.:
- – zur nicht-nachhaltigen Nutzung und Erschöpfung der natürlichen Ressourcen
- – zur Verschmutzung oder Beeinträchtigung von Ökosystemen
- – zum Rückgang der biologischen Vielfalt und zum Klimawandel
- – zur Herstellung von Abfällen und gefährlichen Stoffen, die von der Generation, die sie produziert hat, nicht sicher und vollständig entsorgt werden können (z.B. radioaktive Abfälle)
- Auch Unternehmen und Individuen werden in die Pflicht genommen:
Unternehmen müssen die Menschenrechte künftiger Generationen achten und es daher unterlassen, durch ihre Aktivitäten, Produkte oder Dienstleistungen nachteilige Auswirkungen zu verursachen. Sie müssen hierzu menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen durchführen.
Jeder Mensch hat Verantwortung und Pflichten gegenüber sich selbst, seiner Gemeinschaft, der Gesellschaft und der gesamten Menschheit, einschliesslich der Pflicht, die Menschenrechte künftiger Generationen zu achten und zu fördern.
Wie ist das Verhältnis zu den UN-Zielen für Nachhaltige Entwicklung?
Die in den Prinzipien angesprochenen Themen und Forderungen stehen in engem Zusammenhang mit den UN-Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) in der Agenda 2030: Armut beenden (Ziel 1), Nachhaltigkeit fördern (insbesondere in den Zielen 2, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 14 und 15), Klimawandel bekämpfen (Ziel 13), Inklusion, Geschlechtergleichstellung und Gleichberechtigung erreichen und Ungleichheiten verringern (zur Verringerung von Diskriminierung; Ziele 5 und 10 und in Ziel 4), Biodiversitätsverlust beenden (in Ziel 15) und rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Staatsebenen aufbauen (in Ziel 16).
Die Achtung, der Schutz und die Verwirklichung der Rechte künftiger Generationen tragen somit direkt zur Umsetzung praktisch aller Ziele für Nachhaltige Entwicklung bei. Andersherum gesagt: Um die Ziele für Nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssen auch die Rechte künftiger Generationen beachtet und umgesetzt werden.
Was ist das Fazit an uns?
Zusammengefasst gesagt: Wir alle – von Bürger:innen über Unternehmensführer:innen und Parlamentarier:innen bis hin zu Regierenden – sind aufgerufen und verpflichtet, alles in unserer Macht stehende zu tun, um der kommenden Generation nicht die gegenwärtigen Beeinträchtigungen, Probleme und Krisen zu überwälzen, sondern ein Leben in Würde zu ermöglichen.