Menschenrechts-Verträglichkeitsprüfungen

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Überblick
Die Einführung von Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen in der Schweiz
Forderungen nach Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen
Literatur und Links
Beispiele

Überblick

Staaten sind durch internationale Menschenrechtsverträge verpflichtet, die Menschenrechte im In- und Ausland zu achten (Achtungspflicht). Auch die Schweiz ist verpflichtet, das Recht auf Nahrung (und alle andern Menschenrechte) im globalen Süden zu achten. Die Schweiz darf das Recht auf Nahrung nicht durch ihre Handlungen und Unterlassungen gefährden oder verletzen.

Um dies zu gewährleisten, muss die Schweiz ihre «Handlungen» – Strategien, Programme, Projekte, Gesetze und Verordnungen, Abkommen (z.B. zu Freihandel und Investitionsschutz), Politik in internationalen Organisationen u.a. – daraufhin überprüfen, ob sie nicht das Recht auf Nahrung im globalen Süden gefährden oder verletzen. Ein hervorragendes Instrument dazu ist die Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung (MVP) oder menschenrechtliche Folgenabschätzung – ähnlich der bekannten Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).

Das Konzept der MVPs tauchte bereits 1979 auf, als der UN-Generalsekretär es in einem Bericht über die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte erwähnte. Seither werden MVPs von verschiedenen Seiten gefordert. Doch sind MVPs in der Schweiz und anderswo weder vorgeschrieben noch existiert dazu eine unmittelbar anwendbare Methodik im Sinne eines «Tools».

Auf Anregung und mit Begleitung von FIAN Schweiz hat deshalb die «Human Rights Clinic» an der Juristischen Fakultät der Universität Basel eine erste Grundlage zur Institutionalisierung von MVPs in der Schweiz erarbeitet. FIAN Schweiz wird die Entwicklung weiter vorantreiben.

 

Die Einführung von Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen in der Schweiz

Die im Rahmen der Human Rights Clinic 2015 an der Universität Basel verfasste Studie «Die Einführung von Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen in der Schweiz» (deutsche Zusammenfassung) kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Es besteht sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene keine explizite rechtliche Verpflichtung zur Durchführung von MVPs. Bis anhin ist diese Verpflichtung nur in «soft law» explizit statuiert worden. (S. 6, 9)
  • Trotzdem haben Staaten eine Verpflichtung zur Durchführung von MVPs, die aus internationalen Abkommen abgeleitet werden kann (S. 7). Sie gilt auch für staatliche Handlungen, die ausserhalb des eigenen Territoriums stattfinden bzw. sich auswirken. (S. 8)
  • MVPs stellen für den Staat nicht nur das beste Instrument dar, um seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen zu entsprechen, sondern sie sind auch ein beispielloses Mittel zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen. (S. 31)
  • Eine Methode zur Durchführung von MVPs kann aus folgenden acht Schritten bestehen: 1: Analyse des Vorhabens / 2: Wirkungshypothesen und Ermittlung potentiell verletzlicher Gruppen / 3: Ermittlung der Rechtsgrundlage für Verpflichtungen / 4: Informationsgewinnung / 5: Information und Konsultation der Beteiligten / 6: Analyse der gewonnenen Information / 7: Erstellung eines zusammenfassenden Berichts / 8: Umsetzungsüberwachung und Folgekontrolle. (S. 15 – 20).
  • Es ist nicht zu fragen, welche staatlichen Institutionen der Verpflichtung zur Durchführung vom MVPs unterstellt werden sollen, sondern welcher Staatsgewalt – legislativ, exekutiv, judikativ – eine bestimmte Handlung zugerechnet werden soll. Die Verpflichtung zur Durchführung von MVPs bestimmt sich nach der Natur der fraglichen Handlung. Die Legislative (aller Stufen) dürfte die für Menschenrechte relevanteste Staatsgewalt sein (S. 25). (Anmerkung: Abweichend hierzu vertritt FIAN Schweiz die Meinung, dass durchaus untersucht werden soll, ob die Verpflichtung zur Durchführung von MVPs bestimmten staatlichen Institutionen zugeschrieben werden kann.)
  • Politiken, Strategien, Erlasse, Programme, Projekte, Massnahmen u.ä., die eine hohe Wahrscheinlichkeit aufweisen, Menschenrechte zu beeinträchtigen, müssen MVPs unterworfen werden. Zusätzlich sollen alle Formen staatlichen Handelns mit dem Potential, einen grossen Anteil einer Bevölkerung zu betreffen, MVPs unterzogen werden. Ein wichtiger Aspekt  ist zudem die Frage, ob besonders verwundbare Gruppen betroffen sein könnten (S. 26). Sämtliche menschenrechtsrelevanten Strategien, Positionen und Tätigkeiten der Schweiz in zwischenstaatlichen Organisationen sind ebenfalls MVPs zu unterziehen. (S. 27)
  • Für die rechtliche Etablierung von MVPs scheint ein spezifisches Gesetz als Rechtsgrundlage zu fehlen, und ihre Anwendung ist nicht auf einen bestimmten Rechtsbereich beschränkt. Es dürfte somit der Bedarf nach einem eigenen Erlass (Gesetz und/oder Verordnung) für MVPs bestehen. (S. 26)
  • Die Schaffung eines für MVPs verantwortlichen staatlichen Gremiums ist wünschenswert, wenn nicht essentiell für die Institutionalisierung und künftige Praxis von MVPs in der Schweiz. (S. 28)
  • Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und ihre rechtlichen Grundlagen (einschliesslich des Espoo-Übereinkommens für grenzüberschreitende UVPs) stellen eine gute Orientierung für die Entwicklung der rechtlichen Institutionalisierung der MVPs dar. (S. 26)

pdficon_small1Studie «Die Einführung von Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen in der Schweiz» (gekürzte Übersetzung auf Deutsch)

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Studie «Human Rights Impact Assessments» von Alexandra Eberhard, Tanja Mengeu und Livia Pedrojetta (Original auf Englisch)

Die nächsten von FIAN Schweiz anvisierten Schritte sind:

  • Diskussion der bisherigen Ergebnisse und des weiteren Vorgehens an einem Expertenseminar
  • Konkretisierung des möglichen Verfahrens und des rechtlichen Rahmens für MVPs

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Forderungen nach Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen

Die folgende Zusammenstellung zeigt anhand einzelner Beispiele auf, für welche Vorhaben und von welchen Institutionen die Durchführung von MVPs gefordert wurde und wird.

► Allgemein
► Bei Handels- und Investitionsabkommen
Bei staatlichen Investitionen oder Förderung von Exporten und Investitionen im Ausland
Bei wirtschaftlichen Reformmassnahmen (Strukturanpassungs-, Austeritätsprogramme u.a.)
Bei bestimmten Politikbereichen oder Fördermassnahmen
Bei Tätigkeit und Politik in internationalen Organisationen

Allgemein

Prinzip 14 der Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte fasst den Stand im Völkerrecht so zusammen:
«14. Folgenabschätzung und Vorbeugung
Staaten müssen mit öffentlicher Beteiligung eine vorgängige Prüfung der Risiken und möglichen extraterritorialen Auswirkungen ihrer Gesetze, Strategien und Verfahren auf den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durchführen. Die Ergebnisse der Prüfung müssen veröffentlicht werden. Die Prüfung muss auch im Hinblick auf die Auswahl von Massnahmen unternommen werden, die der Staat zur Verhinderung von Rechtsverletzungen oder zu deren Beendigung wie auch zur Sicherstellung eines wirksamen Rechtsschutzes ergreifen muss.» (s.a. Commentary to the Maastricht Principles on Extraterritorial Obligations of States in the area of Economic, Social and Cultural Rights, Principle 14).

Diese Verpflichtung bestätigen die Guiding principles on extreme poverty and human rights (vom Menschenrechtsrat mit Resolution 21/11 angenommen) in Ziff. 92: «States have an obligation to respect and protect the enjoyment of human rights, which involves […] conducting assessments of the extraterritorial impacts of laws, policies and practices

Leitlinie 17.2 der Freiwilligen Leitlinien für das Recht auf Nahrung der FAO empfiehlt:
«Die Staaten können Folgeabschätzungen auf das Recht auf Nahrung durchführen, um die Auswirkungen der nationalen Politiken, Programme und Projekte auf die schrittweise Verwirklichung des Rechtes der Bevölkerung im Allgemeinen und der gefährdeten Gruppen im Besonderen auf angemessene Nahrung zu ermitteln und zur Grundlage für die notwendigen Korrekturmassnahmen zu machen.»

In der Schweiz besagt das Parlamentsgesetz in Artikel 141:
«1 Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung seine Erlassentwürfe zusammen mit einer Botschaft.
2 In der Botschaft […] erläutert er insbesondere folgende Punkte, soweit substanzielle Angaben dazu möglich sind: […]
g. die Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und künftige Generationen»
Damit die Auswirkungen auf die heutige und künftige Generationen und deren Menschenrechte erkannt und abgeschätzt werden können, sind Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen unerlässlich. Interessanterweise ist die Erläuterung der Auswirkungen territorial nicht beschränkt, womit davon ausgegangen werden kann, dass auch Auswirkungen im globalen Süden in Betracht zu ziehen sind.

Ähnlich antwortet der Bundesrat in der Stellungnahme vom 22. Februar 2017 zur Interpellation Nr. 16.4165:
«Bei jedem Gesetzentwurf prüft die federführende Stelle, ob das internationale Recht – darunter auch die internationalen Menschenrechtsgarantien – eingehalten wird. Die Ergebnisse der Prüfung bilden jeweils ein separates Kapitel in der Botschaft zum Erlass. Die Einschätzung des federführenden Amtes wird in der Ämterkonsultation von denjenigen Stellen überprüft, die sich mit der Umsetzung internationaler Normen befassen.» Diese «Prüfung» ist im Grunde genommen eine MVP und könnte im Rahmen einer rechtlich verankerten MVP formalisiert werden.

Genau dies empfiehlt auch die UN-Arbeitsgruppe zu Wirtschaft und Menschenrechten in der Guidance on National Action Plans on Business and Human Rights von 2014 zur Umsetzung von Leitprinzip 3 der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte:
«Ensuring new laws do not constrain business respect for human rights
[…] In this regard, Governments should consider:
– Tasking an independent institution, such as the NHRI, to assess new laws for their effect on business and human rights issues and define formal processes through which such concerns can be raised.»

Die Arbeitsgruppe Aussenpolitik der NGO-Plattform Menschenrechte stellt in ihrem Diskussionspapier «Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik» die Institutionalisierung von systematischen Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen als eine von fünf Forderungen hoher Dringlichkeit für eine menschenrechtlich kohärente Aussenpolitik auf:
«Die Schweiz benötigt ein institutionelles Verfahren zur Prüfung der menschenrechtlichen Politikkohärenz. Das UNO-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte154, der Schweizer Think-Tank foraus155, sowie eine neue Studie der Universität Basel in Kooperation mit FIAN Schweiz156 schlagen gleichermassen die Einführung einer Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung (sog. Human Rights Impact Assessment) vor.157 Die Studie der Universität Basel zeigt auf, dass es sich hier um eine Aufgabe handelt, die aus zahlreichen internationalen Verträgen und Verpflichtungen abgeleitet werden kann bzw. muss. Nicht nur Gesetzesentwürfe, sondern auch weitere Politiken, Strategien, Erlasse, Programme, Projekte, Massnahmen und auch internationale Abkommen, Beschaffungsprogramme, Konzepte multilateraler Politik u. ä., die eine hohe Menschenrechtsrelevanz aufweisen, müssen demnach Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen (MVPs) unterworfen werden. Für dieses neue Instrument ist eine rechtliche Grundlage in Form einer Verordnung oder eines Gesetzes erforderlich.»

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Bei Handels- und Investitionsabkommen

Zur Umsetzung von Leitprinzip 9 der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte empfiehlt die UN-Arbeitsgruppe zu Wirtschaft und Menschenrechten in der Guidance on National Action Plans on Business and Human Rights von 2014:
«International investment agreements may impede host States from fully implementing their human rights obligations. In this regard, Governments should consider:
– Conducting human rights impact assessments prior to concluding bilateral or multilateral investment agreements. […]
Trade agreements can be important instruments to anchor human rights issues in the economic relations between two States. In this regard, Governments should consider:
– Conducting human rights impact assessments prior to concluding trade agreements.»

Leitprinzip 1 der Guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements von Olivier De Schutter, dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, hält fest:
«1. All States should prepare human rights impact assessments prior to the conclusion of trade and investment agreements.
Commentary
1.1 By preparing human rights impact assessments prior to the conclusion of trade and investment agreements, States are addressing their obligations under the human rights treaties. First, since States are bound by these pre-existing treaty obligations, they are prohibited from concluding any agreements that would impose on them inconsistent obligations. Therefore, there is a duty to identify any potential inconsistency between pre-existing human rights treaties and subsequent trade or investment agreements, and to refrain from entering into such agreements where such inconsistencies are found to exist. Human rights impact assessments are a tool to ensure consistency and coherence between the obligations of States under international law and other international agreements to which they are parties, and thus to overcome, or at least mitigate, the problems resulting from the fragmentation of international law.»

Diese Leitprinzipien sollen Staaten in ihrer Rechtsordnung verbindlich machen, forderte der Unabhängige UN-Experte für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung Alfred de Zayas in seinem Bericht vom Juli 2015:
«States should take measures to ensure implementation of the guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements and make them legally binding in the domestic legal order».

Zur Umsetzung der obengenannten Leitprinzipien schlägt Prof. Dr. Markus Krajewski, Universität Erlangen-Nürnberg, in der Studie Ensuring the Primacy of Human Rights in Trade and Investment Policies: Model clauses for a UN Treaty on transnational corporations, other business and human rights mit Bezug auf das entstehende UN-Abkommen zu Transnationalen Konzernen und Menschenrechten vor:
«The parties to a treaty on businesses and human rights could include a provision which would require them to conduct a human rights impact assessment of new trade and investment agreements» mit z.B. folgenden Bestimmungen: «Each Party shall assess the impact of new trade and investment agreements on the respect for, protection and fulfilment of internationally recognised human rights before and during the negotiations of such an agreement and before its conclusion» sowie «Each Party shall periodically assess the impact of every trade and investment agreement ratified by the Party on the respect, protection and fulfilment of internationally recognised human rights / the international human rights obligations of the Party / fundamental human rights.»

Der Allgemeine Kommentar Nr. 24 über Staatenpflichten unter dem Interationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) sagt in Ziffer 13: «States parties should identify any potential conflict between their obligations under the Covenant and under trade or investment treaties, and refrain from entering into such treaties where such conflicts are found to exist […] The conclusion of such treaties should therefore be preceded by human rights impact assessments that take into account both the positive and negative human rights impacts of trade and investment treaties […]. Such impacts on human rights of the implementation of the agreements should be regularly assessed, to allow for the adoption of any corrective measures that may be required.»

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seinen Abschliessenden Bemerkungen vom 19. November 2010 zum 2. und 3. Staatenbericht der Schweiz zur Umsetzung des UN-Pakts I in Ziff. 24 gefordert, «that the State party undertake an impact assessment to determine the possible consequences of its foreign trade policies and agreements on the enjoyment by the population of the State party’s partner countries of their economic, social and cultural rights».

In diesem Sinne wurde die Schweiz 2012 anlässlich der zweiten Universellen Periodischen Überprüfung durch die Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats aufgefordert:
«Undertake an impact assessment on the possible consequences of its foreign trade policies and investment agreements on the enjoyment of economic, social and cultural rights by the population of its partner countries»
Die Schweiz nahm diese Empfehlung (Nr. 123.85 im Bericht) zur Prüfung entgegen, lehnte sie dann jedoch ab.

Das foraus-Diskussionspapier Nr. 14 «Ein Legitimitätsmodell für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik» schlägt im Interesse eines kohärenten Engagements für die Menschenrechte vor:
«Die Einhaltung der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz soll allen aussenpolitischen Massnahmen als Bezugspunkt dienen, um einen positiven Einfluss auf die Einhaltung dieser Rechte in den wirtschaftlichen Partnerländern gewährleisten zu können. Diese Verpflichtung […] muss mit konkreten und überprüfbaren Zielen verbunden werden. […] Um dieses Ziel zu verfolgen, muss die Schweiz die dazu notwendigen Mittel bereitstellen. Sie muss ein ehrgeiziges Forschungsprogramm initiieren, um in Zukunft den Einfluss von intensivierten wirtschaftlichen Beziehungen auf den Schutz der Menschenrechte besser abschätzen zu können (human rights impact assessment). Darüber hinaus sollte ein präzises und unabhängiges Monitoringsystem entwickelt werden, welches in der Lage ist, die Einflüsse der intensivierten Beziehungen zu überwachen und einzuschätzen sowie für alle Beteiligten politisch akzeptabel ist.»

In ihrer Kolumne «Ein Handelsgesetz für mehr Demokratie und Nachhaltigkeit» vom Juni 2017 schlägt Dr. Elisabeth Bürgi Bonanomi von der Universität Bern vor, auch in einem künftigen Handelsgesetz MVPs zu verankern: «Ein zentrales Instrument, das sicherstellen hilft, dass Handelsabkommen den Zielen der Nachhaltigkeitsagenda gerecht werden, sind Wirkungsanalysen. Wenn Handelsabkommen – vor deren Abschluss, aber auch nachträglich – auf ihre Umwelt- und Menschenrechtswirkungen hin überprüft werden, dann ermöglicht dies, Handelsabkommen besser auszugestalten […] So sollte ein Handelsgesetz Wirkungsanalysen vorsehen und auch regeln, wie sie in den politischen Prozess eingebunden sein sollten.»

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates stellte 2019 fest, dass der Bundesrat zu wenig Bereitschaft für die Durchführung von Nachhaltigkeitsstudien zu Freihandelsabkommen (FHA) zeigt. Auf der Grundlage quantitativer und qualitativer Daten könnten Studien durchgeführt werden, um potenziell problematische Sektoren zu eruieren und zu beurteilen, inwieweit sich ein FHA auf spezifische Bevölkerungsgruppen auswirken würde. Die Studien würden auf bestimmte für das jeweilige FHA relevante Aspekte der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen fokussieren. Da die Agenda 2030 auch eine Menschenrechtsagenda ist, kämen solche Studien MVPs nahe.
Die Kommission hat vor diesem Hintergrund das Postulat 19.3011 («Erarbeitung einer Methodik zur Beurteilung der Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf die nachhaltige Entwicklung») eingereicht, welches den Bundesrat beauftragt, einen Bericht über die methodischen Möglichkeiten zur Durchführung von Nachhaltigkeitsstudien vorzulegen.

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Bei staatlichen Investitionen oder Förderung von Exporten und Investitionen im Ausland

Leitlinie 12.5 der Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Regulierung der Land-, Fischbestands- und Waldnutzung lautet:
«Wenn die Staaten im Ausland Investitionen tätigen oder diese fördern, sollten sie sicherstellen, dass ihr Verhalten mit dem Schutz legitimer Eigentums-, Besitz- und Nutzungsrechte, der Förderung der Ernährungssicherheit und ihren bestehenden Verpflichtungen im Rahmen des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts im Einklang steht und in gebührender Weise die freiwilligen Selbstverpflichtungen im Rahmen der anwendbaren regionalen und internationalen Instrumente berücksichtigt.»
Dazu kommentiert die Studie «‘Land Grabbing’ und Menschenrechte: die FAO Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure»: «Für den Kontext des Land Grabbing bedeutet diese Leitlinie, dass die Heimatstaaten einer Investition sicherstellen müssen, dass ein staatlich geförderter Kauf- oder Pachtvertrag im Ausland nicht gegen Menschen- oder Landrechte der ausländischen Landbevölkerung verstößt. Es bedarf damit einer staatlich veranlassten Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung, die die Frage der bestehenden informellen und formellen Landrechte Dritter mit einschließt.»

Leitlinie 12.10 der Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Regulierung der Land-, Fischbestands- und Waldnutzung empfiehlt:
«Wenn Investitionen in Erwägung gezogen werden, die Transaktionen von Eigentums-, Besitz- und Nutzungsrechten großen Umfangs beinhalten, einschliesslich partnerschaftlicher Vereinbarungen, sollten sich die Staaten darum bemühen, Regelungen aufzustellen, die die unterschiedlichen Parteien dazu verpflichten, vorab unabhängige Bewertungen der potenziellen positiven und negativen Auswirkungen durchzuführen, die derartige Investitionen auf Eigentums-, Besitz- und Nutzungsrechte, die Ernährungssicherheit und die schrittweise Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung, Existenzgrundlagen und die Umwelt haben könnten.»

Absatz 6 der Concluding observations on the fifth periodic report of Norway (2013) des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte führt aus:
«The Committee is concerned that the various steps taken by the State party in the context of the social responsibility of the Government Pension Fund Global have not included the institutionalization of systematic human rights impact assessments of its investments. The Committee recommends that the State party ensure that investments by the Norges Bank Investment Management in foreign companies operating in third countries are subject to a comprehensive human rights impact assessment (prior to and during the investment).»

Zu Exportkredit-/Investitionsgarantieagenturen bzw. Exportrisikoversicherungen (wie die schweizerische SERV) erläutert Prof. Dr. Markus Krajewski, Universität Erlangen-Nürnberg, in der Studie Ensuring the Primacy of Human Rights in Trade and Investment Policies: Model clauses for a UN Treaty on transnational corporations, other business and human rights: «It has long been recognised that granting export credit guarantees and investment guarantees (or political risk insurances) not based on human rights performance of the respective investment or trade project may exacerbate the negative human rights impact of these activities. […] Numerous reform proposals have been put forward by civil society, political actors and academic scholars. […] In general, the relevant proposals include the requirement that export credit agencies should undertake human rights impact assessments of the projects financed by them […].»
Im Zusammenhang mit dem entstehenden UN-Abkommen zu Transnationalen Konzernen und Menschenrechten schlägt Krajewski vor, in das Abkommen folgende Bestimmung aufzunehmen: «Each Party […] ensures that its financial support does not give an incentive to cause or contribute to human rights violations. Each Party also ensures that it does not become complicit in or benefit from the human rights violations. A Party may fulfil its obligations under this article by adopting, among others, the
following measures: a) requiring its export credit and investment guarantee agencies to conduct a human rights impact assessment of the respective commercial activity before the economic incentive is promised or fulfilled;»

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Bei wirtschaftlichen Reformmassnahmen (Strukturanpassungs-, Austeritätsprogramme u.a.)

Der UN-Menschenrechtsrat beauftragte mit der Resolution 34/3 den Unabhängigen Experten für Auslandschulden und Menschenrechte Juan Pablo Bohoslavsky, Leitprinzipien für Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen für wirtschaftliche Reformmassnahmen zu entwickeln. Der Unabhängige Experte setzte diesen Auftrag in enger Zusammenarbeit mit ExpertInnen von Staaten, Internationalen Finanzinstitutionen, Nationalen Menschenrechtsinstitutionen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaft und Berufsverbänden um. Die Leitprinzipien wurden 2019 veröffentlicht: «Guiding Principles on human rights impact assessments of economic reforms» (mit einer benutzerfreundlichen Einführung «How to make economic reforms consistent with human rights obligations»). Im Hinblick auf die Ausarbeitung eingegange Beiträge wurden auf dieser Website veröffentlicht.

Im Dezember 2017 reagierte der Experte zusammen mit verschiedenen anderen UN-Menschenrechtsexperten mit einem offenen Brief an den Internationalen Währungsfonds auf dessen Bericht «The IMF and Social Protection». Die Experten rufen den IWF u.a. dazu auf, vor, während und nach der Empfehlung von Reformen sozialer Schutzsysteme und von finanzpolitischen Konsolidierungsmassnahmen, die das Recht auf soziale Sicherheit und andere Rechte betreffen, Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen durchzuführen.

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Bei bestimmten Politikbereichen oder Fördermassnahmen

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte war besorgt über Berichte, wonach Belgiens staatliche Förderpolitik für Agrotreibstoffe wahrscheinlich den grossflächigen Anbau dieser Produkte in Drittstaaten fördern, wo belgische Firmen operieren, mit negativen Konsequenzen für lokale Bauern. Die Concluding observations concerning the fourth periodic report of Belgium von 2013 empfehlen in  Absatz 22:
«The Committee recommends that the State party systematically conduct human rights impact assessments in order to ensure that projects promoting agrofuels do not have a negative impact on the economic, social and cultural rights of local communities in third countries where Belgian firms working in this field operate.»

Bezüglich der Entwicklungshilfe sowie der Landwirtschafts- und Handelspolitik Österreichs schrieb derselbe UN-Ausschuss in seinen Concluding observations on the fourth periodic report of Austria von 2013 in Absatz 11:
«The Committee is deeply concerned that the State party’s official development assistance provides support to projects that have reportedly resulted in violations of economic, social and cultural rights in recipient countries. It is further concerned that the State party’s agriculture and trade policies, which promote the export of subsidized agricultural products to developing countries, undermine the enjoyment of the right to an adequate standard of living and the right to food in the receiving countries (arts. 2 and 11).
The Committee calls upon the State party to adopt a human rights-based approach to its policies on official development assistance and on agriculture and trade, by:
(a) Undertaking a systematic and independent human rights impact assessment prior to making funding decisions;
(b) Establishing an effective monitoring mechanism to regularly assess the human rights impact of its policies and projects in the receiving countries and to take remedial measures;»
Bei den unter a) verlangten Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen handelt es sich um typischerweise ex-ante-Prüfungen (im Voraus), beim unter b) verlangten Überwachungsmechanismus um ex-post-Prüfungen (während der Ausführung).

Im Bericht über unlautere Finanzflüsse, Menschenrechte und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung empfahl der unabhängige UN-Experte über die Auswirkungen von Auslandschulden auf den Genuss der Menschenrechte, Juan Pablo Bohoslavsky, dass die Staaten MVPs zu ihrer Steuerpolitik durchführen sollen, um sicherzustellen, dass sie im Ausland keine negativen Auswirkungen haben:
«States should conduct human rights impact assessments of their tax policies, to ensure that they do not have negative impacts abroad. These should be periodic and independently verified, with public participation in defining the risks and potential extraterritorial impacts. Impact assessments should analyse not only the implications for revenue streams, but also the distributive and governance spillover effects of a country’s tax regime abroad. If and when negative spillovers are found, impact assessments should trigger policy action including explicit recommendations for responsible parties and clear deadlines for remedies and redress.»

Spezifisch zur Schweiz führte der Experte in seinem End of mission statement über seinen Besuch in der Schweiz im Herbst 2017 aus: «Ich fordere die schweizerischen Behörden auf, das Steuerreformpaket einer sozialen und menschenrechtlichen Folgenabschätzung zu unterziehen. Die Analyse sollte beinhalten, wie sich die Steuerreform auf die Steuereinnahmen auswirkt, die für die Verwirklichung wirtschaftlicher und sozialer Rechte innerhalb der Schweiz und für Individuen im Ausland, insbesondere in Entwicklungsländern, zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang möchte ich in Erinnerung rufen, dass Art 141 a) und g) des Schweizerischen Parlamentsgesetzes vom Bundesrat verlangt, Einschätzungen über die Auswirkungen von Erlassentwürfen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und künftige Generationen vorzulegen sowie ihre Verträglichkeit mit Grundrechten und für die Schweiz verbindlichem Völkerrecht einzuschätzen.» (zum Parlamentsgesetz s. oben)

Im Bericht zu seinen Untersuchungen in der Schweiz von 2018 empfahl der Experte verschiedentlich Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen: «Low tax regimes provide incentives to profit shifting and result in reduced tax revenues in those countries where most of the real business takes place, thus shrinking the fiscal space of states to fulfil their human rights obligations. The Independent Expert calls
upon the Swiss government at all levels to carry out a social and human rights impact assessment of the tax reform package, which should include an assessment of how the reform will impact on tax revenues available for the realisation of economic and social rights within Switzerland and abroad, in particular in developing countries.» Öffentlichen und privaten Finanzinstitutionen empfahl er: «Implement the Guiding Principles on Business and Human Rights and Guiding Principles on Foreign Debt and Human Rights by: […] carrying out appropriate human rights impact assessments before funding decisions».

Der UN-Ausschuss zur Abschaffung der Diskriminierung von Frauen empfahl in seinen Concluding observations on the combined fourth and fifth periodic reports of Switzerland von 2016: «Undertake independent, participatory and periodic impact assessments of the extraterritorial effects of its financial secrecy and corporate tax policies on women’s rights and substantive equality, ensuring that such assessments are conducted impartially, with public disclosure of the methodology and findings».

Katarina Tomasevski, Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung, gab 1998 in einem Hintergrundpapier der Meinung Ausdruck, dass MVPs auch auf makroökonomische Massnahmen angewandt werden sollten.
«Since governmental obligations emanating from economic and social rights revolve around allocation of resources, they remain beyond the reach of complaint procedures which give standing to the individual victims. […] A procedural approach can become an effective method of challenging disregard of human rights in macroeconomic policies through a requirement that a human rights impact assessment be carried out before such policies are developed and implemented.»

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Bei Tätigkeit und Politik in internationalen Organisationen

Die Informationsplattform humanrights.ch schreibt in der Mitteilung «Neue Schutzstandards der Weltbank in der Kritik» vom Oktober 2016: «Als ein Land, welches angibt, die Menschenrechte hoch zu halten, steht die Schweiz aber in der Pflicht, die Weltbank dazu aufzufordern, sie müsse mit allen geeigneten Massnahmen sicherstellen, dass ihre Projekte keine Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben. Konkret müsste die Schweiz zu problematisch erscheinenden Weltbank-Projekten vorgängige Studien zur Abschätzung der menschenrechtlichen Folgen einfordern oder selbst durchführen und in den Entscheidungsprozess einspeisen.»

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Literatur und Links

Allgemein

Study on Human Rights Impact Assessments. A Review of the Literature, Differences with other Forms of Assessments and Relevance for Development. Commissioned by the Nordic Trust Fund / The World Bank, 2013.

Stephenson Mary-Ann and Harrison James, 2010: Human Rights Impact Assessment: Review of Practice and Guidance for Future Assessments. Report for the Scottish Human Rights Commission.

De Beco Gauthier, 2009: Human Rights Impact Assessments. Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 27/2, S. 139-166.

Website der International Association for Impact Assessment IAIA.

zu Handels- und Investitionsabkommen und Handelspolitik

United Nations, Human Rights Council, 2015: Report of the Independent Expert on the promotion of a democratic and equitable international order, Alfred-Maurice de Zayas. A/HRC/30/44.

European Commission, Directorate-General for Trade, 2015: Guidelines on the analysis of human rights impacts in impact assessments for trade-related policy initiatives.

Bürgi Bonanomi Elisabeth, Lannen Anu, 2015: Shaping EU Trade Agreements to Support Human Rights. CDE Policy Brief, No. 6. Bern, Switzerland: CDE.

Bürgi Bonanomi Elisabeth, 2014: EU Trade Agreements and Their Impacts on Human Rights. Study Commissioned by the German Federal Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ).
CDE Working Paper 1. Bern, Switzerland: Centre for Development and Environment (CDE).

United Nations, Human Rights Council, 2011: Guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements. Report of the Special Rapporteur on the right to food, Olivier De Schutter. A/HRC/19/59/Add.5

Public Eye, 2010: Schweizerische Handelsabkommen: Menschenrechte sind nicht Verhandlungssache. Dokumentation 4_2010.

Berne Declaration, Canadian Council for International Co-operation & Misereor, 2010: Human Rights Impact Assessments for Trade and Investment Agreements. Bericht des Expertenseminars vom 23. – 24. Juni 2010 in Genf.

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Beispiele

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