Kurz vor der UNO-Konferenz zu Konzernverantwortung veröffentlichte der Bundesrat den Nationalen Aktionsplan – ohne jeglichen Zusammenhang
Zürich/Genf, 16. Dezember 2024 – Am letzten Freitag veröffentlichte der Bundesrat den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) 2024-2027. Praktisch zeitgleich findet in dieser Woche in Genf bereits die 10. jährliche Konferenz zur Ausarbeitung des UN-Abkommens zu transnationaler Wirtschaft und Menschenrechten statt. Sah der Bundesrat irgendeinen Zusammenhang zwischen Plan und Konferenz bzw. Abkommen? Befasste sich der Bundesrat mit dem sowohl national als auch international brennenden Thema der verbindlichen Konzernverantwortung bezüglich Menschenrechten? Beide Male weit gefehlt.
Die beiden bisherigen Ausgaben des NAP erwähnten das entstehende UN-Abkommen immerhin. Die neue Ausgabe schweigt das Abkommen schlicht tot, obwohl nach zehn Jahren Verhandlungen der Abschluss näher rückt. Und dies trotz der vollmundigen Ankündigung im NAP, dass bei der Evaluation der vorherigen Ausgabe «vier prioritäre Handlungsfelder für die Erarbeitung eines NAP für den Zeitraum 2024-2027 ermittelt» wurden, u.a. die «Berücksichtigung künftiger Handlungsfelder (z.B. […] Entwicklungen des regulatorischen Umfelds)». Im Entwurf des NAP war immerhin noch die Erteilung eines Verhandlungsmandats zum UN-Abkommen vorgesehen, doch flog dieses offensichtlich raus. Haben der Bund und die bei der Ausarbeitung des NAP konsultierte Wirtschaft Angst vor dem Abkommen, statt dieses als Chance für internationale Wettbewerbsgleichheit und international einheltiche Regulierung zu nutzen?
Der NAP versucht ebenso, die dieses Jahr in Kraft getretene EU-Direktive zu Nachhaltigkeit und Konzernverantwortung mit ein paar Sätzen zu übergehen, obwohl die Direktive in den nächsten unmittelbare Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen entfalten wird. Die Direktive ist zudem eine europäische Rechtsgrundlage, die der Bundesrat – wie angekündigt – in absehbarer Zeit im Schweizerischen Recht nachvollziehen sollte. Das Brisante daran: Der NAP schweigt sich darüber aus, dass die Direktive zwingende Vorgaben für Staaten und Unternhemen macht. Der Bundesrat äussert sich im neuen NAP überhaupt nicht dazu, wie er mit dem Thema der verbindlichen Konzernverantwortung in den nächsten Jahren umzugehen gedenkt, auch nicht in Hinblick auf die im Januar startende zweite Konzernverantwortungsinitiative.
Auch beim UN-Abkommen zu transnationaler Wirtschaft und Menschenrechten setzt der Bundesrat seit zehn Jahren auf Passivität: Ohne Verhandlungsmandat bleibt die Schweizer Delegation auch dieses Jahr blosse Beobachterin, und so gestaltet die Schweiz die internationale Regulierung auch nicht mit. Andere europäische Staaten handeln hier ganz anders: Frankreich und Portugal agieren als «Freunde des Verhandlungsvorsitzenden». Die EU-Delegation hat zwar auch kein Verhandlungsmandat, wird aber auf der Basis der neuen EU-Direktive aktiv mitarbeiten.
Wie sehr sich der Bundesrat um Regulierung drückt, zeigt sich im NAP auch bei den bundesnahen Unternehmen und öffentlichen Beschaffungsstellen: Nicht einmal bei diesen wird Verbindlichkeit ins Auge gefasst. Die Bundesverwaltung wird sie lediglich «unterstützen» und «sensiblisieren», um Verantwortung zu «fördern». Damit kommt der Bund seiner menschenrechtlichen Verpflichtung nicht nach, die Menschenrechte vor Verletzungen durch (staatsnahe) Unternehmen und staatliche Stellen zu schützen.
Der NAP erweist sich leider einmal mehr als eine typische Multistakeholder-Initiative: Verwässert bis fast zur Wirkungslosigkeit – was nicht verwundert, wenn die direktbetroffene Interessengruppe in der NAP-Begleitgruppe Einsitz hat. Wann wird der Bundesrat endlich aufwachen und die Staatsaufgabe des verbindlichen Menschenrechtsschutzes mutig, eigenständig und konsequent wahrnehmen?