Einklagbarkeit der wirtschaftlichen und sozialen Rechte in der Schweiz

Obwohl sich die Schweiz mit der Ratifizierung diverser internationaler Übereinkommen verpflichtet hat, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (WSK-Rechte) im gleichen Umfang zu garantieren wie bürgerliche und politische Menschenrechte, fristen WSK-Rechte noch immer ein Schattendasein. Trotz gegenteiliger Meinung der herrschenden Lehre in der Schweiz lehnen der Bundesrat und das Bundesgericht die Justiziabilität (Einklagbarkeit) der WSK-Rechte ab. Der UNO-Ausschuss für WSK-Rechte hat in seinen Concluding Observations die Schweiz 1998 und 2010 für diese ablehnende Haltung gerügt.

Im Hinblick auf den bereits verspäteten nächsten Staatenbericht der Schweiz zur Umsetzung der WSK-Rechte (ursprüngliche Frist Juni 2015) analysiert eine im Rahmen der Human Rights Clinic der Universität Basel geschriebene und von FIAN Schweiz unterstützte Masterarbeit, wie sich die Anerkennung der Justiziabilität seit 2010 entwickelt hat. Dabei interessiert sowohl die Haltung des Bundesrates als auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtes.

pdficon_small1Masterarbeit «The Justiciability of Economic, Social and Cultural Rights in Switzerland» von Florentin Weibel, Universitäten Genf und Basel, Human Rights Clinic der Universität Basel, in Zusammenarbeit mit FIAN Schweiz

Die Arbeit hebt insbesondere die folgenden Entwicklungen hervor:

1) In der Botschaft zur Ratifizierung des UNO-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen anerkannte der Bundesrat zum ersten Mal im Jahr 2012 das Konzept der sogenannten drei Verpflichtungsschichten von WSK-Rechten (Achtungspflicht, Schutzpflicht, Gewährleistungspflicht).

2) Das Bundesgericht liess in jüngsten Entscheiden die Frage oder Justiziabilität öfter bewusst offen oder analysierte die Justiziabilität von WSK-Rechten im Lichte des konkreten Falles, anstatt sie jedes Mal wie früher global zu verneinen. Trotzdem hat sich an der grundsätzlichen Haltung des Bundesgerichts nichts geändert. Im Gegensatz zur sich langsam öffnenden Haltung des Bundesrates wendet es das Konzept der drei Verpflichtungsschichten nicht an, und schützt in einigen Fällen typische WSK-Rechte auf dem Umweg über bürgerliche und politische Rechte.

3) Es ist begrüssenswert, dass das schweizerische Recht auf Bundes- und Kantonsebene viele Bereiche der WSK-Rechte abdeckt. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass dieser rein durch schweizerisches Recht gewährleistete Schutz lückenhaft bleibt und Nachteile gegenüber der Anerkennung der Justiziabilität international garantierter WSK-Rechte aufweist.

Gestützt auf dieser Analyse gibt die Arbeit Empfehlungen ab, wie die Anerkennung der Justiziabilität von WSK-Rechten gefördert werden kann. Die wichtigsten Empfehlungen sind:

1) Im Anwendungsfall von Menschenrechten zwischen «Justiziabilität» und «direkter Anwendbarkeit» unterscheiden. Menschenrechte, ob bürgerliche und zivile oder WSK-Rechte, sind vage formuliert und bedürfen der Präzisierung durch die Rechtsprechung. Ausserdem hat das Bundesgericht gezeigt, dass auch an das Parlament adressierte Verpflichtungen durch gerichtliche Organe überprüft werden können.

2) Die Wichtigkeit der Ratifizierungen des UNO-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und des 3. Fakultativprotokolls zur Kinderrechtskonvention für die Fragestellung der Justiziabilität von WSK-Rechten aufzeigen.

3) Die Verletzung von Grund- und Menschenrechten vor dem Bundesgericht konkret rügen. In der Schweiz tätige Anwälte sollten besser über WSK-Rechte informiert werden und diese Rechte in ihren Beschwerden vors Bundesgericht substantiieren, womit das Bundesgericht sich vermehrt mit der Frage der Justiziabilität von WSK-Rechten auseinanderzusetzen hat.