Welternährung: Hungerzahlen steigen das fünfte Jahr in Folge

UN-Bericht: 690 Mio. Menschen leiden an chronischem Hunger / Zuwachs von 60 Mio. seit 2014

Die Welternährungsorganisation FAO hat heute in New York ihren aktuellen Welternährungsbericht (SOFI) vorgestellt. Demnach ist die Zahl chronisch hungernder Menschen im vergangenen Jahr um zehn Millionen angestiegen. 144 Millionen Kinder unter fünf Jahren – mehr als 20 % – sind in ihrem Wachstum beeinträchtigt. Insgesamt zwei Milliarden Menschen sind von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. Die Zahlen bestätigen die besorgniserregenden Trends der vergangenen fünf Jahre – obwohl der Bericht noch nicht die Folgen der Corona-Pandemie berücksichtigt. Für das laufende Jahr erwartet die UN-Organisation einen dramatischen Anstieg hungernder Menschen um rund 80 bis 130 Millionen Personen.

Die Erreichung des Ziels, den Hunger bis 2030 zu besiegen, wird immer unrealistischer. In Ländern des Südens werden rund zwei Drittel aller Nahrungsmittel von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern produziert. Diese werden seit Jahrzehnten in weniger fruchtbare und abgelegene Gebiete abgedrängt und einem unfairen globalen Wettbewerb ausgesetzt. Die Politik muss endlich umsteuern – weg von konzerndominierten Ernährungssystemen hin zu einer Politik, die die Bedürfnisse von Landwirten und hungernden Menschen ins Zentrum stellt.

Über drei Milliarden Menschen weltweit sind zu arm, um sich gesund ernähren zu können. Zudem offenbart der Bericht einen massiven Mangel an nährstoffhaltigen Nahrungsmitteln – Gemüse und Obst –, vor allem in Afrika. Dazu tragen Industrieländer erheblich bei, oft im Tandem mit Agrarkonzernen. Sie setzen stark auf den exportorientierten Anbau von Monokulturen wie Mais, Baumwolle oder Soja. Entwicklungshilfe wird oftmals mit der Bedingung verknüpft, auf dieses Pferd zu setzten. Agrarstrategien konzentrieren sich zunehmend auf sogenannte «cash crops» und vernachlässigen den kleinbäuerlichen Anbau traditioneller, nahrhafter Pflanzen, wie eine aktuelle Studie über die Agrar-Allianz AGRA in 13 afrikanischen Ländern zeigt.

Ein Mix aus nationalen Politiken und internationalen Abkommen privilegiert heute einseitig industrielle und konzerndominierte Ernährungssysteme: inputintensive Landwirtschaft, sehr lange Versorgungsketten, globaler Handel, Investitionsabkommen oder marktbasierte Antworten auf die Klimakrise. Auch die aktuellen Corona-Massnahmen fördern einseitig die industrielle Lebensmittelversorgung.

Verdeutlicht wird die Situation durch die Entwicklung in Lateinamerika. Dort ist die Zahl hungernder Menschen seit 2015 um neun Millionen auf 48 Mio. angestiegen. Parallel dazu sind Anbau und Export von Agrarprodukten – insbesondere Zuckerrohr und Soja – auf ein Rekordniveau gestiegen. Eine immer geringere Zahl von Investoren und Konzernen produziert und verkauft immer mehr Agrarprodukte, die nicht für die Ernährung der Hungernden bestimmt sind. Allzu oft wurden in den letzten Jahren Markt- und Expansionsstrategien von Agrar- und Ernährungskonzernen als Hungerbekämpfung etikettiert. Und die Staaten – sowohl die Zielländer als auch die Geber von Entwicklungshilfe – haben sich auf diesen Verkaufstrick eingelassen.

Ein grosses Manko des Berichts sind nach Auffassung von FIAN die fehlenden Angaben zu Hungertoten. Jedes Jahr sterben Millionen Menschen an Hunger. Es ist kaum zu glauben, dass es zu einem für die Menschheit so zentralen Thema keine belastbaren Zahlen gibt.

Weitere Informationen:
► Bericht The State of Food Security and Nutrition in the World 2020. Transforming food systems for affordable healthy diets der FAO
► Studie Falsche Versprechen: die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) von FIAN Deutschland und anderen Organisationen

Eingeordnet unter: News