Globale Konzernverantwortung und die Schweiz: Neuste Entwicklungen

Ende 2021 stellte FIAN Schweiz ein Zugangsgesuch zu amtlichen Dokumenten, um zu erfahren, wieso der Bundesrat kein Verhandlungsmandat für die Mitarbeit am UN-Abkommen zu Transnationalen Konzernen und Menschenrechten erteilt hatte. Die erhaltenen Dokumente führten zu brisanten Erkenntnissen:

  • Die relevanten Stellen der Bundesverwaltung aus drei Departementen (EDA, WBF, EJPD) bereiteten im Herbst 2021 tatsächlich die Einholung eines Verhandlungsmandats beim Bundesrat vor. Doch die Übermittlung des Antrags an Bundesrat Ignazio Cassis wurde von höchster Stelle – dem stellvertretenden Generalsekretär und der Staatssekretärin des EDA – gestoppt.
  • Das Generalsekretariat ordnete stattdessen an, dass die Schweiz «die gleiche Strategie wie die anderen westlichen Staaten verfolgen soll, d.h. sie soll die Diskussionen wie bislang weiterverfolgen, ohne sich formell im Verhandlungsprozess einzubringen».

Die im Mandatsantrag formulierte inhaltliche Position der Schweiz lässt sich folgendermassen zusammenfassen:

  • Bevorzugung nicht-verbindlicher Instrumente anstelle des Abkommens
  • inhaltliche Beurteilung des Abkommensentwurfs: Viele rechtliche Elemente bleiben unklar, sind umstritten und würden der Schweizerischen Rechtsordnung widersprechen
  • Schwerpunkte für die Verhandlungen: Sicherstellung der Übereinstimmung mit den UN-Leitprinzipien und den OECD-Instrumenten, Sicherstellung der Widerspruchsfreiheit zum Schweizerischen Recht, Vermeidung von Haftung, Vertretung der Interessen der Schweiz

Das verordnete Vorgehen – gleiche Strategie wie die anderen westlichen Staaten verfolgen, weiterhin nur als Beobachterin teilnehmen – ist erschreckend mutlos und unengagiert. Die Schweiz orientiert sich nicht an ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen, sondern an politischer Bequemlichkeit. Die inhaltliche Position wirkt obsolet, thematisch beschränkt und wirtschaftsfreundlich statt völkerrechtsorientiert. Es fällt kein Wort zu den Interessen der von Menschenrechtsbeeinträchtigungen Betroffenen, bloss die «Interessen unseres Landes» zählen.

Mitte März veröffentlichte die von FIAN Schweiz mitkoordinierte Arbeitsgruppe Transnationale Konzerne und Menschenrechte das aktualisierte Grundsatzpapier «Die Zeit für globale verbindliche Konzernverantwortung ist gekommen. Der nationale und internationale Rahmen, der UN-Treaty und das weitere Vorgehen für die Schweiz». Die Aktualisierungen betrafen insbesondere die 7. Verhandlungssession, den gescheiterten Mandatsantrag der Bundesverwaltung und die Publikation des EU-Richtlinienentwurfs zu nachhaltiger Unternehmensführung.

Ende März hielt die Arbeitsgruppe Transnationale Konzerne und Menschenrechte einen Austausch mit Parlamentarier:innen zur Unterstützung des Abkommens im Parlament ab.

Am 5. April befasste sich die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats vertieft mit dem entstehenden Abkommen und führte Expertenanhörungen durch. Im Austausch mit Vertreter:innen der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Verwaltung diskutierte die Kommission insbesondere den Stand der Arbeiten, die Rolle der Schweiz sowie die potenziellen Auswirkungen des Abkommens auf die Wirtschaft (s. Medienmitteilung). Unverständlicherweise wurde kein:e Vertreter:in der Zivilgesellschaft zur Anhörung eingeladen. Ein gemeinsam vorbereiteter Brief der Kommission an den Bundesrat zur Erteilung eines Verhandlungsmandats wurde mit Stichentscheid des Präsidenten leider abgelehnt.