Menschenrechtlich bedenklich: Bundesrat duldet Nahrungsmittelspekulation

Der Bundesrat hat am 18. Februar die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» gemäss seiner Pressemitteilung zur Ablehnung empfohlen. Diese Initiative will verhindern, dass institutionelle Anleger und Finanzakteure ohne Beziehung zur Landwirtschaft Kapital in Märkten für Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel anlegen. Solche Geldströme tragen zu häufigeren und stärkeren Schwankungen und zu einem Anstieg von Grundnahrungsmittelpreisen in Entwicklungsländern bei. Leidtragende sind die armen Bevölkerungsgruppen, die bei der Ernährung empfindliche, wenn nicht lebensbedrohliche Abstriche machen müssen.

Bedenklich ist die Ablehnung des Bundesrats aus zwei Gründen: Erstens fusst sie auf falschen Annahmen und Argumenten, und zweitens verkennt der Bundesrat seine menschenrechtlichen Verpflichtungen, die eine strikte Regulierung der Spekulation auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel verlangen.

Aufgrund des internationalen Menschenrechtssystems müssen alle Staaten «Massnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Personen innerhalb und ausserhalb ihres Territoriums zu schützen» und «die notwendigen Massnahmen ergreifen um sicherzustellen, dass nicht-staatliche Akteure, […] wie […] transnationale Konzerne und andere Firmen, den Genuss von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten nicht unmöglich machen oder beeinträchtigen», wie die Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unmissverständlich festhalten.

Banken, Versicherungen und andere institutionelle Anleger verstossen mit Anlagen in Agrargüter und deren negativen Folgen gegen das Menschenrecht auf Nahrung im Globalen Süden. Der Bundesrat ist verpflichtet, die betroffene Bevölkerung vor dieser Beeinträchtigung durch Schweizer Firmen zu schützen. Die Unterstützung der Initiative wäre ein geeignetes Mittel dazu gewesen.

Die falschen Annahmen und Argumente sind schnell widerlegt:

  • «Ein Spekulationsverbot könnte […] hohe Nahrungsmittelpreise nicht verhindern»: Ein Spekulationsverbot allein könnte tatsächlich nicht hohe Preise verhindern. Aber es könnte – im Verbund mit geeigneten andern Massnahmen – dazu beitragen, die Schwankungen und den Anstieg von Grundnahrungsmittelpreisen zu dämpfen.
  • «Da die Spekulation auf diesen Märkten verschiedene nützliche und notwendige Funktionen erfüllt, ist eher zu befürchten, dass die Agrarmärkte aufgrund dieser Beschränkungen weniger gut funktionieren würden»: Es muss unterschieden werden zwischen der herkömmlichen Spekulation von Akteuren, die zwischen Produzenten und Verarbeitern die Preise von realen Lieferungen absichern, und der finanzindustriellen Spekulation, die nichts mehr mit der realen Produktion und Verarbeitung zu tun hat, sondern die Agrarmärkte für ihre Geschäfte missbraucht. Die Initative erlaubt ausdrücklich «Verträge mit Produzenten und Händlern von Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln über die terminliche oder preisliche Absicherung bestimmter Liefermengen». Institutionelle Anleger dürften dagegen nicht mehr «in Finanzinstrumente investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen» und die Agrarmärkte beeinträchtigen.
  • «Zweitens haben Massnahmen, die nur in der Schweiz ergriffen werden, kaum einen Einfluss auf die Vorgänge an den internationalen Warenterminmärkten»: Die Initiative sieht ausdrücklich vor «Der Bund setzt sich auf internationaler Ebene dafür ein, dass die Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln weltweit wirksam bekämpft wird». Ausserdem sind insbesondere in den USA und in der EU z.T. schon weit gediehene Bestrebungen im Gang, die finanzindustrielle Spekulation massiv einzuschränken.
  • Schliesslich befürchtet der Bundesrat «Auswirkungen auf verschiedene Gruppen von Unternehmen in der Schweiz» wie «zusätzliche Kosten und Einschränkungen in ihrer Geschäftstätigkeit»: Selbst wenn zusätzliche Kosten entstehen würden, können diese niemals Rechtfertigung für die Duldung von Menschenrechtsverstössen sein. Dann folgt in der Argumentation des Bundesrats eine unsägliche pauschalisierte Drohkulisse, wie sie sonst nur Wirtschaftsverbände aufbauen: Es sei mit dem «Verlust von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Steuereinnahmen» zu rechnen – darauf müssen wir gar nicht eingehen.

Nachdem der Bundesrat – vielleicht aus Unkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge und seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen – die menschenrechtswidrige Spekulation weiterhin dulden will, ist jetzt das Bundesparlament gefordert. Die Botschaft des Bundesrats liegt nun als Geschäft beim Parlament, wo es von den Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben beider Kammern und anschliessend vom Ständerat behandelt werden wird. Als staatliche Institution unterliegt auch das Parlament den internationalen menschenrechtlichen Pflichten und ist gehalten, die Initiative entsprechend zu behandeln.

Mitteilung «Bundesrat duldet Nahrungsmittelspekulation» als PDF

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