Aufruf von FIAN Schweiz an die Schweizer Delegation bei der WTO-Ministerkonferenz in Bali

Bei der laufenden WTO-Ministerkonferenz in Bali dreht sich eine der entscheidendsten Streitfragen darum, ob die Entwicklungsländer das Recht erhalten, bei ihren Bauern Nahrungsmittel zu angemessenen Preisen einzukaufen und auf Lagerhaltung zu nehmen, um diese Nahrungsmittel in schwierigen Zeiten zu angemessenen Preisen der bedürftigen Bevölkerung abzugeben. Auch wenn dieses Recht im Intersse der Ernährungssicherheit als Selbstverständlichkeit erscheint, wird es im Geiste der harten Agrarexportinteressen gewisser Staaten und der WTO-Regulierungen bestritten.

FIAN Schweiz hat deshalb folgenden Aufruf an die Schweizer Delegation gerichtet:

«Sehr geehrte Frau Vuilleumier, sehr geehrter Herr Chambovey,

auch wenn die WTO-Ministerkonferenz in Bali schon weit fortgeschritten ist, wende ich mich als Vizepräsident von FIAN Schweiz an Sie. FIAN ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich weltweit für die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung einsetzt und die konkrete Ausdifferenziereung dieses Rechts innerhalb und ausserhalb der UNO massgeblich gefördert und mitgeprägt hat.

Sie kennen sicher den Aufruf „Bali package must allow ambitious food security policies“ des UNO-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, mit der Kernbotschaft „Food reserves are a crucial tool, not just in humanitarian crises, but in the everyday struggle to provide stable income to farmers and to ensure a steady flow of affordable foodstuffs for poor consumers, many of whom lack a basic social safety net. […] The Bali package should now enshrine the rights of developing countries to use public food reserves for food security without facing sanctions. […] The G33 group of developing countries has proposed exempting public stockholding aimed at supporting low-income or resource-poor producers from being considered as a trade-distorting subsidy […]  any agreement in Bali must give developing countries sufficient guarantees to be able to push ahead with ambitious food security policies.“

Wir ersuchen Sie vor dem Hintergrund der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, diese Stossrichtung im Interesse des Rechts auf Nahrung in den Verhandlungen zu verfolgen.

Die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz sind insbesondere in den „Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte“ dargelegt. Massgeblich für die vorliegende Situation sind insbesondere die folgenden Prinzipien (Unterstreichungen durch den Verfasser):

15. Verpflichtungen von Staaten als Mitglieder von internationalen Organisationen
Als Mitglied einer internationalen Organisation bleibt der Staat verantwortlich für sein eigenes Verhalten in Bezug auf seine menschenrechtlichen Verpflichtungen innerhalb und außerhalb seines Territoriums. Ein Staat, der Kompetenzen an eine internationale Organisation überträgt
oder an ihr teilnimmt, muss alle zumutbaren Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass die entsprechende Organisation im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen dieses Staates handelt.“

III. Achtungspflichten

19. Allgemeine Verpflichtung
Alle Staaten müssen einzeln und gemeinsam in internationaler Zusammenarbeit Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Personen innerhalb und außerhalb ihres Territoriums zu achten, wie in den Prinzipien 20 bis 22 festgehalten.“

21. Indirekte Beeinträchtigung
Staaten müssen von jeglichem Verhalten Abstand nehmen, welches
a) die Fähigkeit eines andern Staates
oder einer internationalen Organisation beeinträchtigt, ihren Verpflichtungen bezüglich wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten nachzukommen; oder
b) einem andern Staat oder einer internationalen Organisation dabei hilft, sie unterstützt, anleitet, lenkt oder dazu zwingt, seine bzw. ihre Verpflichtungen bezüglich den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten zu verletzen, sofern dies die Staaten in Kenntnis der Umstände des Verhaltens tun.“

V. Gewährleistungspflichten

28. Allgemeine Verpflichtung
Alle Staaten müssen einzeln und gemeinsam in internationaler Zusammenarbeit Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Personen innerhalb und außerhalb ihres Territoriums zu gewährleisten, wie in den Prinzipien 29 bis 35 festgehalten.

29. Verpflichtung zur Schaffung günstiger internationaler Rahmenbedingungen
Staaten müssen einzeln und gemeinsam in internationaler Zusammenarbeit wohl durchdachte, konkrete und zielgerichtete Schritte unternehmen, um günstige internationale Rahmenbedingungen für die universelle Gewährleistung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu schaffen, einschließlich in Angelegenheiten, die bilateralen und multilateralen Handel, Investitionen, Besteuerung, Finanzen, Umweltschutz und Entwicklungszusammenarbeit betreffen.
Die Erfüllung dieser Verpflichtung soll u.a. erreicht werden durch:
a) die Ausarbeitung, Auslegung, Anwendung und regelmäßige Überprüfung von multilateralen und bilateralen Abkommen
wie auch von internationalen Normen;
b) Maßnahmen und politische Strategien jedes Staates im Rahmen seiner Außenbeziehungen, einschließlich Aktivitäten in internationalen Organisationen, und Maßnahmen und politische Strategien im Inland, die zur Gewährleistung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte außerhalb seines Territoriums beitragen können.“

Wir bitten Sie, uns über die offizielle Verhandlungsposition der Schweiz, Ihre Zielrichtungen und konkreten Schritte zu informieren.

Im Sinne eines transparenten Dialogs werden wir dieses E-Mail und Ihre Antwort auf unserer Website und auf unserer Facebook-Seite veröffentlichen.

Wir danken für Ihr Engagement zugunsten des Menschenrechts auf Nahrung und für Ihre Antwort.»

Wir werden über die Antwort der Schweizer Delegation berichten.

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