Die Lösung des schweren Landkonflikts zwischen der lokalen Bunong-Bevölkerung, einem schweizerisch-luxemburgischen Agrarkonzern und dem kambodschanischen Staat kommt seit Jahren nicht voran. Im Gegenteil: Der Konzern behindert Lösungsbemühungen aktiv – und die schweizerischen Behörden schauen zu.
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Der an der Mediation beteiligte Bevölkerungsteil stimmt der Aufhebung der Geheimhaltung zu
Die kambodschanische Regierung übertrug vor anderthalb Jahrzehnten mittels Landkonzessionen grosse Gebiete an den Agrarkonzern Socfin – ohne Konsultation und Zustimmung der lokalen Bevölkerung. Eine von der Schweiz, Luxemburg und Deutschland finanzierte Mediation zwischen dem Konzern und einem kleinen Teil der betroffenen Bevölkerung versuchte, diesen kolonialen Prozess weisszuwaschen und in fragwürdiger Weise zu legitimieren (siehe Artikel). Nachdem die Mediation unter Geheimhaltung ablief, versuchen FIAN Schweiz und die von uns unterstützte Partnerorganisation BIPA seit längerer Zeit, Einblick in die Vereinbarungen zu erhalten, um diese zu beurteilen und die ganze betroffene Bevölkerung unterstützen zu können. Wir haben das letzte Mal im Oktober 2023 darüber berichtet.
Die Auftraggeberin der Mediation, die Organisation ‘Mekong Region Land Governance’ (MRLG), wies uns hierzu an, die schriftliche Zustimmung der Mediationsparteien, d.h. der Familienvertreter:innen und von Socfin, einzuholen. Ende 2023 erteilten alle Familienvertreter:innen nach eingehenden Gesprächen mit einem Vertreter von FIAN und BIPA ihre Zustimmung zur Offenlegung aller Mediations-Unterlagen gegenüber den Geberstaaten sowie FIAN und BIPA.
Keine Unterstützung von offizieller Seite
Nun fehlte nur noch die Zustimmung von Socfin. FIAN Schweiz und BIPA fragten das kambodschanische Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte OHCHR sowie das schweizerische Staatssekretariat für Wirtschaft SECO für eine diesbezügliche Unterstützung an. Das SECO war bereits seit längerer Zeit in den Disput um die Mediation involviert. Nach anfänglich positiven Signalen lehnten beide Institutionen eine Unterstützung ab und das SECO fragte die DEZA als Hauptgeldgeberin der Mediation für eine Vermittlung an. Obwohl gerade die DEZA an Transparenz bezüglich der erreichten Resultate interessiert sein müsste, blieb eine Antwort trotz mehrmaliger Nachfrage schlicht aus.
Somit blieb kein anderer Weg mehr offen als eine direkte Anfrage an Socfin. Hoffnung auf Zustimmung gab die 2019 von Socfin gemachte Aussage, dass die Diskussionen auf Verlangen der teilnehmenden Bevölkerung «im Moment vertraulich» seien und keine Informationen «bis zum Abschluss der finalen Vereinbarungen» herausgegeben werden können, und ebenso die 2022 gegenüber einem Journalisten gemachte Aussage, es läge an den Familienvertreter:innen, gewünschte Informationen herauszugeben.
Der Konzern unterdrückt die Offenlegung
Auf die Anfrage von FIAN und BIPA – unter Kenntnis von OHCHR, MRLG, SECO u.a. – setzte Socfin eine bis heute andauernde Trickserei in Gang, um mit allen Mitteln die Offenlegung der Mediationsergebnisse und -dokumente zu verhindern. In der ersten Antwort behauptete Socfin, die Offenlegung müsste von den Familienvertreter:innen und Socfin «gemeinsam» beschlossen werden (entgegen der ‘Ground Rules’ der Mediation), und es brauche hierzu eine Konsultation der Vertreter:innen (die FIAN und BIPA ja bereits durchgeführt hatten). In der zweiten Antwort kündigte Socfin die Abhaltung einer Versammlung der Familienvertreter:innen zur Bestätigung ihrer Zustimmung an. Von Teilnehmenden erfuhr BIPA, dass sie einstimmig ihre Absicht zur Offenlegung bestätigt hätten. In der dritten Antwort behauptete Socfin jedoch, die Vertreter:innen stellten sich aktuell gegen eine Offenlegung, und legte das unterzeichnete Versammlungsprotokoll bei. Als Höhepunkt erdreistete sich der Konzern, FIAN und BIPA vorzuwerfen, das Prinzip der freien, vorgängigen und informierten Zustimmung (‘FPIC’) nicht beachtet zu haben, und anzumahnen, dieses in Zukunft doch bitte zu befolgen. Wir erinnern Socfin bloss daran: Wenn der Konzern vor Errichtung der Plantagen die lokale Bevölkerung um die freie, vorgängige und informierte Zustimmung ersucht hätte, hätte er die Zustimmung zur Landaneignung und Lebensraumzerstörung wohl nie erhalten und würde der ganze schwere Landkonflikt gar nicht bestehen.
Die Analyse des Versammlungsprotokolls ergab, dass eine heillose Verwirrung über die Dokumente herrschte, über die diskutiert und beschlossen wurde. Die absurde Behauptung kam auf, den Vertreter:innen sei gar keine Zustimmungserklärung zur Offenlegung der Mediationsdokumente vorgelegt worden, sondern zur Beendigung der finanziellen Unterstützung der Mediation durch BIPA. Selbst Socfin musste klarstellen, dass solch eine Unterstützung nie bestanden hätte. Zudem dürfte die Aussage von Socfin, die Unterzeichnung der Zustimmungserklärung stelle einen Bruch von früheren Vereinbarungen dar, die Teilnehmenden eingeschüchtert haben. Am Schluss hätten die Vertreter:innen beschlossen, dass die Dokumente erst nach Umsetzung der Mediationsergebnisse einschliesslich der Erlangung von Eigentumsurkunden für das Gemeinschaftsland veröffentlicht werden sollten. Aufgrund der Konfusion und der Verängstigung sowie gegenteiliger Zeugenaussagen glauben wir nicht, dass das Versammlungsprotokoll den Willen der Vertreter:innen adäquat widergibt. Weitere Abklärungen sind im Gang.
Den ganzen Briefwechsel führte Socfin erstaunlicherweise über eine Kommunikationsagentur. Das OHCHR und das SECO schwiegen die ganze Zeit dazu. MRLG liess immerhin einmal verlauten: «Wir unterstützen die Offenlegung der Mediationsvereinbarungen, wie von den Vertretern der Dorfbewohner vereinbart und von FIAN gefordert.»
Ein Untersuchungsbericht stellt massive Rechtsverletzungen fest – und gibt schwache Empfehlungen ab
In der Zwischenzeit veröffentlichte die von Socfin beauftragte und mitfinanzierte Earthworm Foundation ihren Untersuchungsbericht zu den gegenüber Socfin Kambodscha erhobenen Anschuldigungen. Der Bericht bestätigt u.a. folgendes ganz klar:
- Das Recht der Bunong auf freie, vorgängige und informierte Zustimmung und auf kollektives Landeigentum wurde bei der Umwandlung ihres Lebensraums in Plantagen nicht respektiert.
- Waldrodungen begannen widerrechtlich vor der Erteilung der Landkonzessionen. Vor den Rodungen wurde die herkömmliche Landnutzung nicht mit der betroffenen Bevölkerung zusammen kartiert.
- Die Landkonzessionen wurden rechtswidrig vor der Gutheissung der eingereichten Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen erteilt. Bei diesen handelte es sich zudem nur um vorläufige, nicht um definitive Studien.
- Die betroffene Bevölkerung wurde nicht in die Entwicklung der Entschädigungsoptionen Diese decken die Einbussen in der Wald- und Landnutzung nicht genügend ab. Die Entschädigungen wurden nicht vor, sondern erst nach dem Projektstart und ohne Eigentumskartierung vereinbart.
- Die Waldrodungen verminderten den Zugang zu Waldnebenprodukten einschliesslich Proteinversorgung aus der Jagd. Der Verlust an Weidegründen zwang die Bevölkerung zu Einschränkung und Aufgabe der Viehwirtschaft.
Eine wichtige Empfehlung des Berichts an Socfin lautet, die Aufhebung der Vertraulichkeitsvereinbarungen der Mediation zu erreichen. Also genau das, wofür sich FIAN und BIPA wie oben ausgeführt seit geraumer Zeit einsetzen, jedoch bis dahin erfolglos.
Was zieht der Bericht sonst noch für Konsequenzen aus diesen krassen Feststellungen, insbesondere in den Empfehlungen an Socfin? Leider reduzieren die Empfehlungen den schwerwiegenden und ungelösten kolonialen Landkonflikt im Wesentlichen auf geringfügige und z.T. selbstverständliche Massnahmen: auf Kommunikation, Umsetzung der Mediation, zukünftige freie und vorgängige Zustimmung von Seiten der Betroffenen, die Durchführung einer Studie, Zusammenarbeit mit den Behörden, die Sicherstellung angemessener Arbeitsbedingungen u.ä.
Der Bericht suggeriert pauschal, dass die Mediation die Forderungen der «Gemeinschaften» erfolgreich behandelt und gelöst habe, obwohl Earthworm ganz klar informiert wurde, dass die Mediation nur gut einen Fünftel der betroffenen Familien aus fünf von sieben betroffenen Dörfern bzw. Gemeinschaften umfasste. Nach der bestätigten Verletzung der Rechte auf kollektives Eigentum ist es seltsam, dass der Bericht Socfin explizit keine Verantwortung zuschreibt und in den Empfehlungen nur vage angibt, mit der Kommunikation fortzufahren und «spezifische Massnahmen zu ergreifen». Socfin hatte die Landkonzessionen akzeptiert (bzw. nicht zurückgegeben), obwohl dem Konzern gemäss eigener Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung bekannt war, dass weder die Regierung um eine freiwillige Zustimmung nachgesucht noch die indigene Gemeinschaft eine solche erteilt hatte.
Socfin hat die Empfehlungen in den Aktionsplan übernommen und bezeichnet die meisten als bereits «laufend» und nur wenige als «zu starten». Einmal mehr hat sich für Socfin die Lösung des Landkonflikts auf marginale Massnahmen reduziert.
Transparenz und Aufarbeitung der Mediation im Hinblick auf eine echte Lösung des Landkonflikts
Was nach dem Bericht von Earthworm und dem Aktionsplan von Socfin bleibt, sind die erschütternden Selbstverständlichkeiten, dass die Plantagen ungeschmälert weiter existieren «dürfen», dass die lokale Bevölkerung den Verlust ihres Lebensraums zu akzeptieren hat und ihr höchstens noch kleine Verbesserungen zugestanden werden.
Wir erwarten von Socfin, die Empfehlung von Earthworm und MRLG zur Aufhebung der Vertraulichkeitsvereinbarungen sofort umzusetzen und damit der eigenen Responsible Management Policy gerecht zu werden. Wir erwarten von der DEZA, entsprechend auf Socfin einzuwirken und aktiv die nächsten Schritte für eine echte Lösung des Landkonflikts zu unterstützen, der die ganze Bevölkerung betrifft. FIAN und BIPA werden hartnäckig dran bleiben.
► mehr: Webpage Kolonialismus aktuell: Landkonflikt zwischen Bunong, Socfin und kambodschanischem Staat