Wirtschaft und Menschenrechte: Ein mutloser und widersprüchlicher Bundesrat

Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei der Medienkonferenz vom 15. September

Der Bundesrat hat am 15. September die Botschaft zur Konzernverantwortungsinitiative, die auch von FIAN Schweiz unterstützt wird, veröffentlicht. Der Bundesrat «unterstützt die Kernanliegen der Initiative» und «anerkennt […] einen Handlungsbedarf in den Bereichen Wirtschaft und Menschenrechte sowie Umweltschutz». Trotzdem beantragt er dem Parlament, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Er setzt weiterhin auf freiwillige Massnahmen und «erwartet», dass auch dubiose Konzerne in Zukunft die Menschenrechte achten. Doch diverse Beispiele zeigen, dass Freiwilligkeit nicht zu einem Umdenken in allen Konzernzentralen führt. Deshalb haben viele Länder verbindliche Gesetze verabschiedet, beispielsweise gegen Kinderarbeit.

Die Initiative will alle Konzerne verpflichten, die Menschenrechte auch bei ihren Geschäften im Ausland zu achten. Damit sich alle Konzerne an das neue Gesetz halten, müssen Verstösse Konsequenzen haben. Konzerne sollen deshalb in Zukunft für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen haften, die sie verursachen.

Die Initiantinnen und Initianten der Initiative begrüssen, dass der Bundesrat die Initiative korrekt beschreibt. So führt er aus, dass die vorgeschlagene Haftungsregelung nur für Menschenrechtsverletzungen gilt, welche ein Konzern bzw. seine Tochtergesellschaft direkt begeht. Auch gibt er richtig wieder, dass die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ausgenommen sind.

Handlungsbedarf und Instrumente sind unumstritten – Bundesrat setzt weiterhin auf Freiwilligkeit

Der Bundesrat teilt die Ansicht der Initiantinnen und Initianten, dass Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne mit Sitz in der Schweiz ein Problem darstellen. Er hält fest, dass «ein Handlungsbedarf in den Bereichen Wirtschaft, Menschenrechte und Umweltschutz sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene»1 bestehe. Der Bundesrat anerkennt zudem, dass die Schweiz besonders gefordert ist: «Als Standort einiger der wichtigsten multinationalen Unternehmen und Sportverbände der Welt sieht es die Schweiz als ihre Pflicht an, sich besonders für die Achtung der Menschenrechte durch die Privatwirtschaft einzusetzen.»2

Der Bundesrat anerkennt, dass das Instrument der Sorgfaltsprüfung, das Kernstück der Konzernverantwortungsinitiative, Gebot der Stunde ist. Er schreibt: «Demnach unterstützt der Bundesrat das Anliegen der Initiantinnen und Initianten bezüglich der Sorgfaltsprüfung grundsätzlich. Er erwartet von den Unternehmen, dass sie auch ohne gesetzliche Verpflichtung eine Sorgfaltsprüfung gemäss den UNO-Leitprinzipien durchführen. Eine solche Sorgfaltsprüfung ermöglicht es den Unternehmen, ihre menschenrechtliche Verantwortung gebührend wahrzunehmen.»3

Kurz: Der Bundesrat anerkennt das Problem, sieht den Handlungsbedarf und unterstützt den von der Initiative gewählten Lösungsansatz, die Sorgfaltsprüfung. Wieso der Bundesrat in der Folge nicht auch bereit ist, seine Erwartungen an die Konzerne mit Sitz in der Schweiz verbindlich zu formulieren, bleibt unverständlich.

Der Bundesrat unterschlägt gewichtige internationale Entwicklungen

Die Beschreibung der «internationalen Entwicklungen» in der Botschaft des Bundesrates ist äusserst lückenhaft: Zwar werden internationale Vereinbarungen und Instrumente wie UNO-Leitprinzipien, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die EU-Richtlinie über nichtfinanzielle Berichterstattung erwähnt, auf darüber hinausgehende Regulierungen in anderen Ländern geht der Bundesrat jedoch nicht ein. So wird das umfassende Gesetz, das Frankreich 2017 verabschiedet hat, und das wie die Initiative eine Sorgfaltsprüfungspflicht in Verbindung mit einer Haftungsregelung vorsieht, bloss in einem Nebensatz unter «Nachhaltigkeitsberichterstattung nach EU-Richtlinie» abgehandelt.4

Auch weitere wichtige Entwicklungen werden nicht erwähnt: So hat der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte kürzlich den «General Comment Nr. 24» veröffentlicht. Darin hält der Ausschuss unter anderem fest, dass die Staaten verpflichtet sind, von Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung rechtsverbindlich zu verlangen. Zudem empfiehlt der Ausschuss die Einführung einer Konzernhaftungsregelung.5 Ähnliche Empfehlungen verabschiedete der Europarat bereits 2016.6

Prof. Dr. Christine Kaufmann, Rechtsprofessorin an der Universität Zürich und Leiterin des Bereichs Wirtschaft und Menschenrechte am Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte SKMR hegt eine andere Sicht dar als der Bundesrat und schreibt: «International finden sich zunehmend verbindliche Sorgfaltspflichten, meistens zu spezifischen Aspekten unternehmerischen Handelns. […] Daraus resultiert eine «Verbindlichung» und damit Transformation von soft law zu hard law.»7 Anders als der Bundesrat geht Kaufmann folgerichtig auch auf verschiedene Regulierungen ein: Den britischen «Modern Slavery Act» (2015), das französische «Loi sur le devoir de vigilance» (2017); das niederländische «Child Labour Due Diligence Law» (2017) und die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien.

Wenn der Bundesrat also zum Schluss kommt, dass keine andere Rechtsordnung eine vergleichbare Regelung kenne, stellt er sich damit offenbaren Tatsachen entgegen.

Schwache Argumente gegen die Initiative

Die in der Botschaft aufgeführten «Mängel der Initiative» überzeugen nicht. So wird vor einem Alleingang der Schweiz und einem damit verbunden Wegzug von Konzernen gewarnt. Wäre die Zusammenstellung der internationalen Entwicklungen nicht derart lückenhaft, könnte die Botschaft wohl kaum zum Schluss kommen, dass Konzerne bei Annahme der Initiative ihren Sitz ins Ausland zu verlegen drohen. Im Gegenteil: Angesichts der zunehmenden Regulierungen im Ausland droht die Schweiz zum Anziehungspunkt für dubiose Geschäfte zu werden.

Zudem ist nicht nachvollziehbar, wieso der Bundesrat zwar menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen von Konzernen erwartet und betont, dass viele solche schon durchführten – aber dann plötzlich vor hohen Kosten für Konzerne und grossen Gefahren bei der Implementierung warnt.

Weiter steht in der Botschaft zwar richtigerweise: «Nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts sind für Klagen aus unerlaubter Handlung die Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder die Gerichte am Handlungs- bzw. Erfolgsort zuständig.» Entsprechend ist in der Initiative als Gerichtsstand der Sitz des Beklagten vorgesehen. Dass der Bundesrat im Nachsatz schreibt «Die Initiative will eine Verschiebung der Zuständigkeit auf Schweizer Gerichte herbeiführen»8, ist schlicht irreführend.

Und fast schon skurril mutet das nächste Argument an, das offensichtlich mehr als aufgeblasen ist: Mit der (vermeintlichen) Verschiebung der Zuständigkeit bestehe die Gefahr, «einem ausländischen Staat das Ungenügen seiner Rechtsordnung und Rechtspflege zu unterstellen. Das könnte als indirekter Eingriff in die Souveränität des ausländischen Staats aufgefasst werden».8 Ganz abgesehen davon, dass dies noch bei weitem kein (faktischer) Eingriff in die Souveränität eines andern Staates wäre, lobt der Bundesrat an anderer Stelle Leistungen der Schweiz, die ein Ungenügen des Justizsektors voraussetzen: «Insbesondere unterstützt sie Massnahmen zur Förderung des Zugangs zur Justiz in Partnerländern und stärkt entsprechende Institutionen und Akteure.»9

Bundesrat anerkennt: Haftungsregelung ist nicht exotisch – KMU sind ausgenommen

Der Verein Konzernverantwortungsinitiative begrüsst, dass der Bundesrat wichtige Passagen der Initiative korrekt auslegt und damit den falschen Behauptungen von Wirtschaftsverbänden entgegentritt.

So schreibt der Bundesrat richtig, dass die Haftungsregelung in der Initiative der Geschäftsherrenhaftung nachgebildet ist und damit nichts Exotisches darstellt. Während Economiesuisse in irreführender Weise behauptet, mit der Initiative «haftet das Unternehmen faktisch immer und für alles»10, schreibt der Bundesrat korrekt, dass sich die Haftung nur auf kontrollierte Unternehmen erstreckt: «Die Haftungsregelung beschränkt sich somit (im Gegensatz zur Sorgfaltsprüfungspflicht) nur auf kontrollierte Unternehmen. Sie bezieht sich jedoch grundsätzlich nicht auf die Geschäftsbeziehungen bzw. die Lieferkette.»11

Ebenso ist zu begrüssen, dass der Bundesrat die Ausnahmen für KMU in der Initiative richtig wiedergibt. Gemäss Initiativtext sind KMU nämlich ausgenommen, ausser sie sind in einem Hochrisikosektor tätig (z.B. im Diamantenhandel). Während Wirtschaftsverbände das in Zweifel ziehen, schreibt der Bundesrat richtig: «Diesen Befürchtungen [der «Wirtschaft»] ist entgegenzuhalten, dass der Initiativtext dem Gesetzgeber bei der Umschreibung der Ausnahmen von der Sorgfaltsprüfungspflicht für KMU explizit einen Gestaltungsspielraum einräumt, um den besonderen Bedürfnissen dieser Unternehmen Rechnung zu tragen.»

Handlungsbedarf, aber keine Massnahmen

Der Bundesrat beschreibt als «Antworten auf die Initiative» verschiedene Berichte und Pläne. Leider enthalten diese entweder gar keine Massnahmen oder solche, die kaum oder gar nicht wirksam sind. Exemplarisch zeigt sich das am Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte: Er erschöpft sich in einer Bestandsaufnahme bestehender Massnahmen und Politiken in der Schweiz. Auf verbindliche Regulierung, z.B. von Risikosektoren oder Nachvollzug von EU-Verordnungen wird gänzlich verzichtet. Von 50 aufgelisteten «Politikinstrumenten» sind nur sechs neu und auch diese beschränken sich auf Promotion oder auf die Verbesserung bestehender Instrumente.

Fazit: Zwar bestätigt der Bundesrat den Handlungsbedarf und erwartet von den Konzernen mit Sitz in der Schweiz, dass sie menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen durchführen. Gleichzeitig will er diese aber nicht gesetzlich verankern, obwohl sich seit Jahren zeigt, dass freiwillige Massnahmen nicht ausreichen.

Der Bundesrat wird diese schwache und inkonsequente Haltung angesichts des zunehmenden internationalen Dynamik hin zu verbindlicher Regulierung und angesichts der zunehmenden Widersprüche, in die er sich verstrickt, wohl nicht mehr lange aufrechterhalten können.

Bereit zu einem internationalen Abkommen?

Der Bundesrat betont wiederholt, er sei «der Auffassung, dass mögliche Regelungen in diesem Bereich international breit abgestützt sein sollten, um eine Benachteiligung des Wirtschaftsstandorts Schweiz zu verhindern.»12 Seit 2015 ist die UNO tatsächlich daran, ein «internationales rechtsverbindliches Instrument» zur Regulierung der Aktivitäten von Transnationalen Konzernen in Bezug auf Menschenrechte (UN-Abkommen zu Transnationalen Konzernen und Menschenrechten) auszuarbeiten. Dieses Abkommen ist das ideale Gefäss für international einheitliche Regelungen.

Nachdem sich die Schweiz an den bisherigen Beratungen nur sehr zögerlich beteiligte, erwartet FIAN Schweiz, dass sich die Schweiz nun energisch für die erforderlichen Regulierungen im internationalen Abkommen einsetzt. Dementsprechend soll sie im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte in Politikinstrument 37 das entstehende Abkommen als Chance für die wiederholt eingeforderte breite internationale Abstützung anerkennen und unterstützen.

1 Botschaft zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», 15. September 2017, 2.6 Fazit
2 a.a.O., 2.4 Die Politik der Schweiz im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte.
3 a.a.O., 5.1.3 Sorgfaltsprüfung im Bereich Menschenrechte.
4 a.a.O., 2.2.8 Nachhaltigkeitsberichterstattung nach EU-Richtlinie.
5 Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment Nr. 24, 23.6.2017, E/C.12/GC/24, insbesondere Para 16, 33, 42, 44. Solche General Comments der UNO-Ausschüsse sind gemäss dem Bundesgericht wichtige Erkenntnisquellen für die Auslegung der Menschenrechtsabkommen (BGE 137 I 305, 325).
6 Recommendation CM/Rec(2016)3 of the Committee of Ministers to member States on human rights and business, 2. März 2016
7 Kaufmann, Christine, Menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltsprüfung im internationalen Vergleich, in: Zeitschrift «Aktuelle Juristische Praxis» 8/2017, S. 967- 977.
8 Botschaft zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», 15. September 2017, 4.4.3 Eingriff in die Souveränität anderer Länder.
9 a.a.O., 5.4 Subsidiäre Massnahmen der internationalen Zusammenarbeit
10 Dossier «Lösungen statt Gerichtsprozesse»
11 Botschaft zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», 15. September 2017, 4.2.3 Haftung auch für kontrollierte Unternehmen im Ausland.
12 a.a.O., z.B. in 4.4.1 Fehlende internationale Abstimmung und Wettbewerbsnachteile