TISA und das Recht auf Nahrung

Seit einigen Jahren handeln vorwiegend reiche Staaten ausserhalb der Welthandelsorganisation WTO internationale Mega-Handelsabkommen aus: TTIP, TPP und CETA (für Güter) und TISA (für Dienstleistungen). Die Schweiz ist an der Aushandlung des Dienstleistungsabkommens TISA (Trade in Services Agreement) beteiligt.

FIAN Schweiz hat sich gefragt, ob TISA das Recht auf Nahrung im globalen Süden gefährden und Menschenrechte in der Schweiz missachten könnte. Wir haben Erstaunliches festgestellt und dazu
► ein Diskussionspapier entwickelt
► eine Veranstaltung durchgeführt.

Ausserdem wurde FIAN Schweiz zur Teilnahme an der Konferenz «Commons in a ‚Glocal‘ World: Global Connections and Local Responses» an der Universität Bern am 11. Mai 2016 eingeladen. Am Panel C33 «Is the Right to Water and Sanitation Supported or Undermined by the New Mega Trade Agreements TTIP, TTP, TISA, and CETA?» referierte FIAN Schweiz zum Thema «Will TISA Undermine the Right to Water?» anhand
► einer Präsentation und
► eines Diskussionspapiers.

Diskussionspapier «TISA und das Recht auf Nahrung»

Das Diskussionspapier steht als PDF-Dokument (11 S.) zur Verfügung oder nachfolgend im Webformat:

Vorwort
Was ist TISA?
Allgemeines
Kernbestimmungen und Anhänge
Wieso nimmt FIAN Stellung zu TISA?
Überblick
Deregulierung im Kontext von Unterentwicklung
Privatisierung der Wasser- und Energieversorgung
Privatisierung der landwirtschaftlichen Unterstützungsdienste
Privatisierung der Gesundheitsversorgung
Privatisierung der Entsorgung
Freier Bodenerwerb für ausländische Investoren
Deregulierung der Finanzdienstleistungen: Finanzierung von Land Grabbing und Nahrungsmittelspekulation
Verbot der Lebensmittelsubventionierung
Verbot von Import- und Exportbeschränkungen für Landwirtschaftsprodukte und Nahrungsmittel
Strangulierung der politischen Handlungsspielräume für das Recht auf Nahrung und die Menschenrechte allgemein
Geheimverhandlungen als Menschenrechtsverletzung
Entmachtung des Staates für die Machtergreifung der Privatwirtschaft
Konzernverantwortungsinitiative und UN-Abkommen zu TNCs und Menschenrechten, oder: Wirtschaftsrechte versus Menschenrechte
Fazit
Die Forderungen von FIAN Schweiz
Quellen und weitere Informationen
Quellen
Vorstösse im Bundesparlament
Websites zu TISA

Vorwort

Dieses Diskussionspapier ist ein Versuch, sich trotz der geheim gehaltenen Verhandlungen an die Sachverhalte von TISA heranzutasten, insbesondere mittels Auswertung von Publikationen und Austausch mit Fachleuten. Vor allem soll ermittelt werden, ob und was für Auswirkungen TISA auf das Recht auf Nahrung im globalen Süden haben kann, auch wenn ein Zusammenhang mit Dienstleistungen auf den erste Blick nicht auf der Hand zu liegen scheint. Wegen der Geheimhaltung sind bezüglich der Auswirkungen auf die Menschenrechte, wie sie nachfolgend dargestellt werden, meist nur Vermutungen möglich.

Was ist TISA?

Allgemeines

Das gegenwärtig in Aushandlung stehende Dienstleistungs-Handelsabkommen TISA (Trade in Services Agreement) ist ein Deregulierungsvertrag, welcher auf den Grundsätzen des GATS-Abkommens (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, General Agreement on Trade in Services) basiert. TISA betrifft ausschliesslich Dienstleistungen, wie sie in der UNO-Klassifikation in den Kap. 6 – 9 erfasst sind – bzw. wie es der VPOD umschreibt: «Finanzdienstleistungen, Detailhandel, Beratungsdienste, aber auch Wasserversorgung, Energieversorgung, Entsorgung, Gesundheitsdienste, Bildung, Kommunikation, Post, Sicherheit, Strafvollzug, Soziale Dienste, Sozialversicherung, also der gesamte Service public.» (VPOD, undatiert).

Die Idee eines Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen wurde von den USA lanciert. Seit Februar 2012 trifft sich eine Gruppe von WTO-Mitgliedstaaten regelmässig in Genf unter wechselndem Vorsitz. Auch die Schweiz nimmt seit Beginn aktiv an den Diskussionen teil. Zur Zeit finden die Verhandlungen unter folgenden Ländern statt: Australien, Chile, Costa Rica, EU, Hong Kong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Peru, Schweiz, Taiwan, Türkei und USA. Die zu Beginn ebenfalls involvierten Länder Paraguay und Uruguay haben aufgrund von Streiks und politischem Widerstand die Verhandlungen wieder verlassen. Wie diese Teilnehmerliste zeigt, wird das Abkommen zwischen einer Handvoll reicher Industrieländer und einigen wenigen Partnerstaaten ausgearbeitet, wobei die wichtigsten Schwellen- sowie die meisten Entwicklungsländer von den Verhandlungen ausgeschlossen sind. Der Grund liegt darin, dass die Verhandlung verschiedener WTO-Abkommen – u.a. des Landwirtschaftsabkommens – aufgrund des Widerstands vieler Entwicklungsländer seit Jahren nicht vorankommt. Beim Landwirtschaftsabkommen steht bei ihnen z.B. die Wahrung des Handlungsspielraums im Interesse der nationalen Ernährungssicherheit auf dem Spiel.

Die beteiligten Industriestaaten und ihre Wirtschaftsführer versuchen nun, ausserhalb des WTO-Rahmens auf ihre Interessen zugeschnittene neue Super-Abkommen unter sich oder mit ausgewählten, ihnen wohlgesinnten Entwicklungsländern abzuschliessen, wie z.B. TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), TPP (Trans-Pacific Partnership Agreement) und nun eben TISA. Die Absicht dahinter ist, diese plurilateralen Abkommen nach ihrem Abschluss weiteren Ländern aufzudrängen (sogenannte Multilateralisierung), ohne dass diese gemäss ihren spezifischen Interessen hätten mitverhandeln können (Attac Deutschland, 2015). Ein solches Vorgehen erscheint neokolonial.

Dieser Ausschluss allein wäre schon Grund genug, das TISA-Abkommen zu bekämpfen, denn es steht ausser Frage, dass die Interessen von Entwicklungsländern und Industriestaaten grundverschieden sind. Der globale Handel mit Dienstleistungen wird zur Zeit, und auch in mittelfristiger Zukunft, von den Industrienationen geprägt sein, da diese Sektoren in Schwellen- und Entwicklungsländern viel schwächer ausgeprägt sind. Die unterschiedlichen Voraussetzungen würden die Entwicklung heimischer Dienstleistungssektoren, zugeschnitten auf die lokalen kulturellen Gegebenheiten der jeweiligen Region, zu Gunsten von etablierten multinationalen Dienstleistungskonzernen verhindern.

Der zumindest teilweise öffentlich kontrollierte Service Public dürfte arg in Bedrängnis geraten. So sollen nicht nur Finanzdienstleistungen, Detailhandel und Beratungsdienste, sondern auch die Wasser- und Energieversorgung, Entsorgungsdienstleistungen sowie Bildung und Kommunikation privatisiert werden können.

Der genaue Inhalt des Abkommens ist aufgrund der geheimen Verhandlungen nur bedingt bekannt, aber das, was bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist, ist besorgniserregend. Neben der grossen Gefahr für den Service Public, die die Arbeitsstellen von Millionen öffentlichen Angestellten bedroht, und dem grundlegend undemokratischen Charakter sehen wir in verschiedenen Punkten auch die Rechte auf Nahrung und Wasser tangiert[1].

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Kernbestimmungen und Anhänge

Die Kernbestimmungen des TISA sind deswegen problematisch, weil sie den Regulierungsspielraum für die Staaten drastisch beschneiden. Von den an die Öffentlichkeit gedrungenen Inhalten haben Alliance Sud (2014) und Attac Deutschland (2015) unter anderem folgende Punkte aufgeführt:

  • Die Stillhalteklausel schreibt den beim Abschluss des Abkommens bestehenden Stand der Deregulierung in allen Sektoren fest. Der Deregulierungsstand kann nicht mehr vermindert bzw. die Regulierungsdichte nicht mehr erhöht werden, unabhängig von jeglicher zukünftigen Entwicklung.
  • Die Sperrklinkenklausel schreibt vor, dass aufgrund des Abkommens erforderliche künftige Anpassungen mehr Vertragskonformität, d.h. mehr Deregulierung schaffen müssen, und kein Deregulierungsschritt mehr rückgängig gemacht werden kann. Wenn eine korrupte Regierung gewisse Dienstleistungsbereiche privatisiert, so haben zukünftige Generationen keine Möglichkeit mehr, dies rückgängig zu machen – auch wenn die Auswirkungen der Privatisierung verheerend sind, was in der Vergangenheit schon oft geschah.
  • Die Klausel über die Inländerbehandlung verpflichtet die Staaten, ausländische Dienstleistungserbringer wie Inländer zu behandeln. Dies untergräbt die Bemühungen eines Entwicklungslandes, den eigenen Dienstleistungssektor weiter zu entwickeln. Der Schutz eigener Wirtschaftssektoren vor ausländischer Konkurrenz war in Westeuropa und den USA bis weit ins letzte Jahrhundert hinein solange eine gängige Praxis, bis die entsprechenden Sektoren zu den Weltmarktführern gehörten (Herrmann, 2016).
  • Negativlisten: Möchte ein Staat bestimmte Dienstleistungen vom Geltungsbereich von TISA ausnehmen, so muss er diese in die sogenannten Negativlisten eintragen lassen. Dann muss er die Erbringung dieser Dienstleitungen auch nicht öffentlich ausschreiben und darf sie in eigener Verantwortung und mit eigenem Personal selbst erbringen. Das Problem dabei ist, dass mit einem Negativlistenansatz neue, sich in der Zukunft erst entwickelnde Dienstleistun­gen nicht mehr der Privatisierung entzogen werden können, da sie nicht auf der «geschützten» Liste stehen. (Dieser Mechanismus kursierte früher unter der Bezeichnung «Zukunftssicherungsklausel»).
  • Annexes (Anhänge): Zusätzlich zum Hauptabkommen (Core Text) gibt es Anhänge (Annexes). Die Anhänge sind so konstruiert, dass sie für jeden Staat direkt gelten, auch wenn er entsprechende Bereiche in seiner Offerte ausgenommen hat. Vertragsstaaten können in ihrer Offerte somit einzelne Sektoren zwar vom Geltungsbereich von TISA ausnehmen, dies wird aber nur wirksam, wenn diese Sektoren nicht in den Anhängen geregelt sind. Mit diesem Mechanismus kann also ein grösstmöglicher allgemeiner Geltungsbereich von TISA durchgesetzt werden.

Der Anhang zur «Transparenz» verdient aufgrund der vorgesehenen Mitwirkungsrechte von «betroffenen Personen» im Gesetzgebungsverfahren genauere Betrachtung. Es ist davon auszugehen, dass damit juristische Personen und dem Kontext entsprechend auch Grosskonzerne gemeint sind. Google oder Facebook könnten somit beim Datenschutz mitreden und Exxon und Total bei der Energiegesetzgebung mitwirken.

Die Stillhalte- und die Sperrklinkenklausel sind eigentlich absurde Ideen: Sie lassen eine Entwicklung nur noch in eine Richtung zu und verhindern die Korrektur fehlgeschlagener Privatisierungen und Deregulierungen, d.h. Lernprozesse. Dies sind zwei Elemente, die der menschlichen Natur wie auch der Demokratie widersprechen.

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Wieso nimmt FIAN Stellung zu TISA?

Überblick

FIAN Schweiz nimmt aus folgenden Gründen Stellung zu TISA:

  • Im Unterschied zu TTIP und CETA verhandelt die Schweiz bei TISA mit. Sie bekundet damit die Absicht, TISA zu ratifizieren und übernimmt Verantwortung für den Verhandlungsablauf und das Verhandlungsergebnis.
  • Auch wenn auf den ersten Blick kein Zusammenhang zwischen einem Dienstleistungs-Handelsabkommen und dem Recht auf Nahrung zu bestehen scheint, bedroht TISA nach gegenwärtigem Kenntnisstand das Recht auf Nahrung im globalen Süden.
  • TISA dürfte den Handlungsspielraum der Schweiz zugunsten des Rechts auf Nahrung im globalen Süden beschränken.
  • Deregulierungen haben nach bisherigen Erfahrungen weltweit in der Regel zu höheren Preisen, schlechteren Dienstleistungen und zur Verringerung der Unterstützung für schwache und verletzliche Bevölkerungsgruppen u.ä. geführt.
  • Der geheime Verhandlungsprozess, der menschenrechtlichen und demokratischen Grundsätzen widerspricht, verletzt die Menschenrechte der EinwohnerInnen der Schweiz und aller beteiligten Staaten.
  • Die Stossrichtung des Abkommens ist eine gezielte Entmachtung des gemeinwohlorientierten Staates und eine konzertierte Machtergreifung der profitorientierten Privatwirtschaft.

Die folgenden Kapitel beschreiben diese Aspekte näher. Bezüglich Bedrohung des Rechtes auf Nahrung fokussieren sie sich auf den globalen Süden. In der aktuellen Zusammensetzung der teilnehmenden Staaten sind zwar vom globalen Süden «nur» Costa Rica, Kolumbien, Mauritius, Mexiko, Pakistan, Panama und Peru dabei. Doch es ist wichtig, die Auswirkungen auch im Hinblick auf die vorgesehene spätere Multilateralisierung zu untersuchen.

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Deregulierung im Kontext von Unterentwicklung

Die vorgesehenen Bestimmungen sollen die Regulierungsmöglichkeiten der Staaten auf ein Minimum begrenzen und können generell sehr weit gehen. Das wird Auswirkungen auf die Ernährungssituation in verschiedenen Regionen und somit auch auf das Recht auf Nahrung haben. So streben die industrialisierten Volkswirtschaften nach neuen Marktzugängen – und genau diesem Streben soll TISA die Tore öffnen und Hemmnisse, die den Marktzugang von privaten Unternehmen erschweren, abbauen oder verunmöglichen. Vergangene Deregulierungsmassnahmen im Rahmen der WTO und im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds führten zu einer Industrialisierung der Landwirtschaft und zu Oligopolmärkten, in welchen einige wenige, multinationale Konzerne fast den ganzen jeweiligen Markt beherrschen. Im Rahmen dieser Entwicklung wurde die kleinbäuerliche bzw. Familienlandwirtschaft mit dem Verweis auf angeblich mangelnde Effizienz immer mehr in Bedrängnis gebracht und marginalisiert. Die Landflucht und die Verarmung ländlicher Gebiete in Entwicklungsländern sind die Folgen davon.

Das Recht auf Nahrung hat darunter insofern gelitten, als dass durch die Landflucht immer weniger kleine Bauernbetriebe existieren, die die Bedürfnisse der lokalen bäuerlichen Gemeinschaft und der umliegenden Dörfer bedienen. Im Umfeld von Grossstädten entstehen Armutssiedlungen, deren Bewohner sich weder eine angemessene Ernährung leisten noch selbst Nahrungsmittel produzieren können. Die parallel dazu stattfindende Industrialisierung der Landwirtschaft und die zunehmende Konzentration des Landbesitzes verschärfen diese Situation durch die Fokussierung auf Monokulturen, die Zerstörung des Bodens durch intensiven Pestizideinsatz und durch die Exportproduktion, die zu einer unglaublichen Verschwendung an Nahrungsmitteln führt, ohne Rücksicht auf den grassierenden Hunger. Dass diese Entwicklung nun weiter vorangetrieben werden soll, muss verhindert werden, damit der Zugang zu Ressourcen und Nahrung nicht vollständig der öffentlichen Kontrolle entzogen wird.

Das Streben nach «freiem» Handel mit Gütern – oft in Verbindung mit massivem Schutz des «geistigen Eigentums» wie z.B. Patenten – hat in gewissen Sektoren wie z.B. der Saatgutindustrie (dort in Verbindung mit Sortenschutzgesetzen) bereits zu Oligopolmärkten geführt. Durch TISA wird diese Tendenz auf den Dienstleistungssektor übergreifen, was in Bereichen wie Wasser- und Energieversorgung, Entsorgung und Gesundheitswesen problematische Auswirkungen haben kann.

FIAN betrachtet TISA als ein Abkommen, welches das Recht auf Nahrung und eine gerechte globale Ernährungspolitik bedroht. Das Abkommen ist ein Glied in einer Reihe von Deregulierungsverträgen, die den freien – oder erzwungenen – Handel global institutionalisieren wollen. Die Kleinbauernvereinigung La Via Campesina hat die Gefahr des Freihandels für das Recht auf Nahrung bereits vor 20 Jahren erkannt und mit dem Konzept der Ernährungssouveränität eine Alternative erarbeitet – losgelöst von rein kapitalistischen Mechanismen, basierend auf ökologischer Wirtschaftsweise, kultureller Integrität und lokaler Marktausrichtung. TISA ist das Folgeabkommen des GATS. Im Rahmen der Umsetzung der GATS-Richtlinien sind immer wieder negative Auswirkungen auf die Rechte auf Nahrung und Wasser festgestellt worden, wie zum Beispiel bei der Privatisierung der Wasserversorgung in Buenos Aires, in Jakarta oder in Bolivien (Krumm, 2005). Die der Öffentlichkeit bekannten Inhalte des TISA-Abkommens gefährden die Menschenrechte auf angemessene und gesunde Ernährung und auf Wasser in gleichem Masse.

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Privatisierung der Wasser- und Energieversorgung

70 % des gesamten Frischwasserverbrauchs weltweit, in Entwicklungsländern bis zu 80 %, sind der Landwirtschaft zuzuordnen (IUF 2014). Es ist derzeit nicht auszudenken, was passieren sollte, wenn die Wasserversorgung generell privatisiert wird. Der Zugang zu sauberem Wasser wäre genauso gefährdet wie bezahlbare Preise. Steigende Wasser- oder Energiepreise treffen die ärmsten Teile der Bevölkerung am härtesten – also jene Teile, die einen Grossteil ihres Einkommens für ihre Ernährung ausgeben. Kleine Preisänderungen können bereits grosse Auswirkungen haben.

Wie komplex das Abkommen ist, zeigt der Punkt der Wasserversorgung. Die Schweizer Verhandlungsführer verweisen darauf, dass Wasser als Bodenschatz von TISA gar nicht betroffen sei, was in ihrer Verhandlungsofferte entsprechend berücksichtigt wurde. Das bedeutet jedoch nicht, dass dies für alle Länder gleichermassen gilt und so ist es durchaus vorstellbar, dass TISA in gewissen Ländern auch auf die Wasserversorgung angewendet werden kann.

Die potentielle Öffnung des Wasserressourcenmanagements für transnationale Investoren wird die Förderung von nachhaltiger Familienlandwirtschaft über steigende Kosten und Reduzierung der Wasserverfügbarkeit, auch wegen der möglichen Bevorzugung zahlungskräftiger Grossbetriebe, untergraben. Die Deregulierung wird den Verbrauch durch die umweltschädlichsten Betriebe – industrielle, exportorientierte Monokulturbetriebe – fördern (IUF 2014). Das wird die Landflucht weiter ankurbeln, sowie noch grössere Anreize für sogenannte Cash Crops schaffen, da nur noch angebaut wird, was zu hohen Preisen verkauft werden kann – was in vielen Fällen keine Lebensmittel für den lokalen Markt sind. Neben diesen Folgen sind auch Auswirkungen auf den Produktionsprozess der Familienlandwirtschaft zu erwarten, da Wasser nicht mehr frei verfügbar, der Zugang zu sauberem und bezahlbarem Wasser aber eine Grundvoraussetzung für eine angemessene Ernährung ist.

Bei der Energieversorgung ist das ähnlich. Wenn durch die Privatisierung der Energieversorgung die Energiepreise steigen oder die flächendeckende Verfügbarkeit von ausreichend Energie abnimmt, kann das den Produktionsprozess ebenfalls erheblich beeinflussen.

In der Praxis zeigen die Privatisierungen der Wasserversorgungen von Buenos Aires, von Cochabamba in Bolivien oder von Jakarta in Indonesien auf, welch negative Auswirkungen diese Vorgänge auf die Bezahl- und Verfügbarkeit von Wasser haben können. In allen Fällen war ein markanter Anstieg der Wasserpreise zu beobachten und parallel dazu eine Abnahme des flächendeckenden Zugangs zu sauberem Wasser (Krumm 2015, S. 62 ff.).

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Privatisierung der landwirtschaftlichen Unterstützungsdienste

Die Landwirtschaft hängt von einem ganzen Komplex von Unterstützungsdiensten ab wie z.B. Forschung, Beratung, Kreditgewährung, Lagerhaltung und Vermarktung, von denen viele von öffentlichen Stellen erbracht werden. Auch diese Dienstleistungen können und werden von TISA für die Privatisierung geöffnet werden, was über Verteuerung, Abbau und Orientierung auf Grosskunden eine schwere Beeinträchtigung für die Familien- und genossenschaftliche Landwirtschaft sein wird. Werden solche Dienstleistungen nicht vor Verhandlungsabschluss auf die Liste der Ausnahmen gesetzt, werden sie nie wieder geschützt und in staatlichem Rahmen erbracht werden können (IUF 2014) – vorausgesetzt, diese Dienstleistungen sind nicht Bestandteil der Anhänge des Abkommens.

Tauchen in Zukunft neue Bedürfnisse der Landwirtschaft auf, können diese nach Verhandlungsabschluss nicht mehr durch staatliche Dienstleistungen erbracht, und diesbezügliche privatwirtschaftliche Dienstleistungen nicht mehr reguliert werden. Staatliche finanzielle Unterstützungen von Dienstleistungen zugunsten einer nachhaltigen Landwirtschaft würden «illegale Subventionen» darstellen und wären nie mehr zulässig (IUF 2014).

Privatisierung der Gesundheitsversorgung

Bei der Privatisierung der Gesundheitsversorgung ist mit erheblich steigenden Preisen von Gesundheitsdienstleistungen zu rechnen. Der Zugang zu einer ausreichenden und bezahlbaren Gesundheitsversorgung ist besonders für die ärmsten Schichten essentiell, da diese zumeist körperlicher Arbeit nachgehen und den grössten Teil ihres Einkommens für den Erwerb oder die Erzeugung von Nahrung ausgeben müssen. Wenn nun die Preise im Gesundheitssektor steigen, so ist der Zugang zu einer ausreichenden Gesundheitsversorgung für Arbeiterinnen und Arbeiter in den unteren Einkommensklassen und infolgedessen auch das Recht auf Nahrung massiv gefährdet: Bei der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung durch die mangelnden Mittel, was zu Einsparungen entweder bei der Gesundheit oder bei der Ernährung zwingt, und bei der bäuerlichen Bevölkerung durch Produktivitätseinbussen aufgrund schlechterer Gesundheit.

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Privatisierung der Entsorgung

Bei der Privatisierung der Entsorgungsdienstleistungen steigt die Gefahr, dass die Verschmutzung von Wasser und Böden in ärmlichen ländlichen und städtischen Gebieten zunimmt, wenn weniger flächendeckend und fachgerecht entsorgt wird. Eine besondere Gefahr könnte von wilden oder bewilligten, aber fahrlässig geführten Deponien ausgehen. Solche Deponien können, wie vielerorts geschehen, das Oberflächen- und Grundwasser vergiften und Luftschadstoffe freisetzen. Damit beeinträchtigen sie die Rechte auf Wasser und Gesundheit.

Freier Bodenerwerb für ausländische Investoren

In vielen Ländern des Südens eignen sich ausländische Staaten, Agrobusinessunternehmen, Energiekonzerne und Finanzwirtschaft in gewaltigem Ausmass Landwirtschaftsflächen an. Auf diesen Flächen bauen die Agrarunternehmen auf industrielle Weise Nahrungsmittel, Futtermittel und Agrarrohstoffe für den Export sowie Agrotreibstoffkulturen an. Die ansässige Bevölkerung wird dafür oftmals gewaltsam vertrieben oder mit nicht oder nur teilweise eingelösten Versprechungen umgesiedelt. Dieses Phänomen nennt man «Land Grabbing» (Landnahme, Landaneignung). Boden und Immobilien sind zwar keine Dienstleistungen und werden somit nicht direkt von TISA erfasst. Hingegen dürfte die Vermittlung von Immobilien – die Maklertätigkeit – als Dienstleistung gelten. Aber abgesehen davon greift TISA auf eine weitere Art doch noch auf den Boden zu.

Verschiedene Staaten beschränken den Bodenerwerb durch ausländische Investoren mittels Gesetzen, – so zum Beispiel die Schweiz mit dem «Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland», auch bekannt als «Lex Koller» (BewG). Solche Gesetze haben zum Ziel, die Spekulation mit Grundeigentum und Liegenschaften zu regulieren, um steigende Land- und Mietpreise zu verhindern. Im Rahmen der TISA-Verhandlungen wurde dem Prinzip der Inländerbehandlung («National Treatment») folgend eine Liste mit Massnahmen erarbeitet, die eine Verletzung dieses Prinzips darstellen. Eine Beschränkung des Bodenerwerbs für nicht niedergelassene Ausländer fällt gemäss Syndicom (2015) explizit in diese Kategorie. Bei denjenigen Staaten, die beim Inkrafttreten von TISA keine Einschränkungen für Bodenerwerb durch ausländische Investoren kennen, verhindern die Stillhalte- und die Sperrklinkenklausel eine spätere gesetzliche Regulierung des Bodenerwerbs. Wo Beschränkungen beim Inkrafttreten von TISA bestehen, können diese nicht mehr verschärft werden.

Angesichts der sich stetig verschärfenden Konflikte um die für die Nahrungsmittelproduktion entscheidenden Ressourcen wie Land und Wasser kann die Unmöglichkeit der Regulierung (oder die Unmöglichkeit einer Verschärfung) auf eine Katastrophe für die Bevölkerung des Südens hinauslaufen: Bauern-, Pächter- und nomadische Viehhalterfamilien werden noch mehr Anbau- und Weideland verlieren. Dies bedroht nicht nur ihre Existenz, sondern verringert die Nahrungsmittelproduktion für die lokalen Märkte und treibt damit die Grundnahrungsmittelpreise in die Höhe. Mit Land Grabbing und dessen Folgen sind in der Regel Verstösse gegen die Rechte auf Nahrung, auf Wohnen und materielles Eigentum, auf Arbeit, günstige und gerechte Arbeitsbedingungen und auf Gesundheit verbunden. Durch das Prinzip der Inländerbehandlung kann TISA somit indirekt eine erfolgreiche Bekämpfung von Landgrabbing durch entsprechende Gesetzgebungen verhindern. Diese weitreichende Anwendbarkeit des TISA-Vertrages, die auf den ersten Blick kaum erkennbar ist und auch von den Verhandlungsteilnehmern (erfolgreich) kaschiert wird, ist eine wesentliche Gefahr dieses Abkommens, welches bei genauerer Betrachtung viel mehr als nur den Dienstleistungssektor betrifft.

Es ist in diesem Zusammenhang zu befürchten, dass TISA die Umsetzung der «Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Regulierung der Land-, Fischbestands- und Waldnutzung» der FAO teilweise behindern oder verunmöglichen könnte. Eine detaillierte Abklärung dieser Vermutung steht noch aus.

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Deregulierung der Finanzdienstleistungen: Finanzierung von Land Grabbing und Nahrungsmittelspekulation

Banken und Fondsgesellschaften erbringen gegenüber Agrarkonzernen Finanzdienstleistungen, indem sie für Projekte bzw. die Konzerne selbst Finanzmittel zur Verfügung stellen. Über Investitionen sind meist auch Pensionskassen, Sozialversicherungen und Versicherungen von Ländern des Nordens beteiligt. Der Anlage von Plantagen geht, wie oben beschrieben, meist die Vertreibung oder unfreiwillige Umsiedlung der lokalen Bevölkerung voraus, was Menschenrechtsverstösse sind. Solche Finanzierungen bedürfen dringend einer Regulierung zur Verhinderung und zur Desinvestition. Es ist zu befürchten, dass eine solche Regulierung nach dem Inkrafttreten von TISA aufgrund der Stillhalteklausel nicht mehr möglich ist.

Auch die Finanzspekulation auf Agrarrohstoff- und Nahrungsmittelmärkten – also nicht die kommerzielle Spekulation, die der Absicherung von Risiken dient – muss im Interesse des Rechts auf Nahrung unterbunden werden. Dafür ist eine komplexe und strikte Regulierung erforderlich. Auch diese Regulierung wird nach dem Inkrafttreten von TISA aufgrund der Stillhalteklausel sowie als «Handelshemmnis» nicht mehr möglich sein, wie folgendes Beispiel zeigt.

Das kürzlich verabschiedete Finanzmarktinfrastrukturgesetz räumt dem Bundesrat in Artikel 118 die Möglichkeit ein, «für die Grösse der Nettopositionen in Warenderivaten, die eine Person halten darf», Positionslimiten einzuführen. Auf dem Agrarrohstoff-Derivatemarkt kann damit die agrarmarktfremde Spekulation eingedämmt werden. Falls der Bundesrat die Positionslimiten bis zum allfälligen Inkrafttreten von TISA für die Schweiz noch nicht aktiviert hat, wäre dies sowohl aufgrund des Verbots von den Marktzugang erschwerenden Handelshemmnissen als auch aufgrund der Stillhalteklausel nicht mehr möglich. Nach einer bereits erfolgten Aktivierung müssten diese als Handelshemmnis möglicherweise wieder aufgehoben werden.

Positionslimiten sind nicht das einzige Instrument, um die finanzmarktgetriebene Spekulation auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel einzudämmen. Aber sie zeigen exemplarisch auf, wie Regulierungsaktivitäten zugunsten des Rechts auf Nahrung eingeschränkt oder verunmöglicht werden.

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Verbot der Lebensmittelsubventionierung

Detailhandel ist gemäss obengenannter UNO-Klassifikation eine Dienstleistung – die Klasse 6310 umfasst «Retail sales of food, beverages and tobacco». Eine Deregulierung des Detailhandels könnte zu einem Verbot des Verkaufs von subventionierten Lebensmitteln an einkommensschwache Gruppen (z.B. in speziellen staatlichen Abgabestellen) führen, da Subventionen als marktverzerrend bezeichnet werden könnten oder als Handelshemmnis für die Detailhändler, die keine subventionierten Lebensmittel verkaufen können. Das kann dazu führen, dass einkommensschwachen Bevölkerungsschichten der Zugang zu genügend Nahrungsmitteln verunmöglicht wird.

Andererseits könnte die Subventionierung bestimmter Lebensmittel auch unter TISA möglich bleiben, aber nur unter der Bedingung, dass alle Detailhändler diese Lebensmittel ins Sortiment aufnehmen dürfen. Dann wird es aber nicht mehr möglich sein, den Verkauf auf einkommensschwache Gruppen zu limitieren und mit Bedingungen wie z.B. dem Schulbesuch der Kinder zu verbinden, womit Sinn und Wirkung solcher Programme dahinfallen.

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Verbot von Import- und Exportbeschränkungen für Landwirtschaftsprodukte und Nahrungsmittel

Im Interesse der landwirtschaftlichen Entwicklung und der Existenzsicherung der Kleinbauern kann es von grösster Wichtigkeit sein, für ausländische landwirtschaftliche Rohstoffe, Produkte und Lebensmittel Importbeschränkungen verhängen zu können, sei es mengenmässig oder über Zölle. Bei Ernährungskrisen und Hungersnöten müssen Staaten Exportbeschränkungen für Lebensmittel verfügen können.

Der Grosshandel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen, Lebendtieren und mit Lebensmitteln fällt gemäss UNO-Klassifikation unter Dienstleistungen (6221 – Wholesale trade services of agricultural raw materials and live animals und 6222 – Wholesale trade services of food, beverages and tobacco). Waren bei Abschluss des TISA-Abkommens Import- und Exportbeschränkungen nicht in Kraft, können sie als neue Regulierung nie mehr eingeführt werden. Bei Abschluss des Abkommens bestehende Aussenhandelsbeschränkungen könnten unter das Verbot von den Marktzugang erschwerenden Handelshemmnissen fallen und müssten aufgehoben werden.

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Strangulierung der politischen Handlungsspielräume für das Recht auf Nahrung und die Menschenrechte allgemein

Das neoliberale, industrielle Landwirtschafts- und Ernährungssystem hat in der Bekämpfung des Welthungers nicht nur versagt, sondern diesen noch zusätzlich verschärft. Es braucht dringend einen Umbau in Richtung auf nachhaltige, demokratische, lokalorientierte Familienlandwirtschafts- und Ernährungssysteme, um das Recht auf Nahrung weltweit verwirklichen zu können.

Ein solch grundsätzlicher und weitreichender Umbau braucht die grösstmöglichen politischen und rechtlichen Handlungsspielräume zugunsten des Rechts auf Nahrung. TISA wird jedoch jegliche neue Regulierung des Dienstleistungssektors und die Rückgängigmachung fehlgeschlagener Deregulierungen zum Schutz von Menschenrechten, aber auch gezielte Unterstützungsleistungen zur Gewährleistung von Menschenrechten verhindern. TISA ist somit ein direkter und massiver Angriff auf staatliche Handlungsspielräume  und wird diese regelrecht strangulieren.

Die Beschränkung der politischen Handlungsspielräume wird die Staaten darin behindern, ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen bezüglich Schutz und Gewährleistung des Rechts auf Nahrung nachzukommen, wie sie u.a. in den «Freiwilligen Leitlinien für das Recht auf Nahrung» der FAO dargelegt sind.

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Geheimverhandlungen als Menschenrechtsverletzung

Der UN-Experte für die Förderung einer demokratischen und gerechten Weltordnung, Alfred de Zayas, schreibt in einer Info Note, er sei «besorgt über die Geheimhaltung der laufenden Verhandlungen von Handelsverträgen […], welche wichtige Anspruchsgruppen wie z.B. Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen, Bewegungen für die Ernährungssicherheit und Gesundheitsfachleute ausgeschlossen haben. Der Experte mahnt, dass die proaktive Offenlegung durch die Regierungen, echte Konsultation und öffentliche Partizipation im Entscheidungsprozess unerlässlich sind, um solche Abkommen demokratisch zu legitimieren. Der Abschluss solcher Abkommen auf der Überholspur ist gleichbedeutend mit der Entrechtung der Öffentlichkeit. Deshalb sollen die Parlamente ein Moratorium auf alle hängigen Freihandels- und Investitionsabkommen verlangen, bis unabhängige Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden und die Öffentlichkeit angemessen konsultiert wird. Die spärlichen Berichte legen nahe, dass es bei diesen Abkommen nicht um Handelsförderung geht, sondern um Deregulierung, welche nur Verlierer ausser den transnationalen Konzernen schafft. […] Ein Moratorium auf die laufenden Verhandlungen ist nötig, um die Errichtung wirtschaftlicher und finanzieller Strukturen zu verhindern, welche voraussichtlich weltweit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen werden bis hin zu Situationen, wo Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene bedroht sind» (OHCHR 2015a). Sicherlich gäbe es zum TISA-Abkommen – als wichtigem Staatsvertrag – zwingend ein Referendum. Aber ein blosser Ja-/Nein-Entscheid zum fertigen Abkommen ersetzt nicht «echte Konsultation und öffentliche Partizipation im Entscheidungsprozess», wie es der UN-Experte verlangt.

Da nicht Firmen, sondern Staaten – als Vertreter ihrer Völker, als Vertreter der Öffentlichkeit – miteinander verhandeln, erscheint es seltsam, dass die Verhandlungen im Geheimen geführt und die Ergebnisse, abgesehen von wenig aussagekräftigen Zusammenfassungen, geheim gehalten werden. Dies nährt den Verdacht, dass an den Verhandlungen bzw. in deren Vorbereitung und Hintergrund die Wirtschaft im Unterschied zur Zivilgesellschaft massiv vertreten ist, und dass über Wirtschaftsinteressen verhandelt wird, die den Interessen der Öffentlichkeit entgegenstehen. Damit macht sich die Wirtschaft – und der sie vertretende Staat – selbst zum Antagonisten, ja Feind der Gesellschaft. Mächtige Wirtschaftsverbände wie «Business Europe», «European Services Forum» und die «Coalition of Services Industries» aus den USA hatten die Idee für dieses Abkommen vorangetrieben und nehmen Einfluss auf die Verhandlungen (Attac Deutschland, 2015). Dies ist ein Abbild von «Corporate Capture», der schleichenden und verdeckten Machtergreifung der Wirtschaft in politischen Bereichen.

Angesichts dessen, dass jeder Mensch ein Menschenrecht auf Information über und ein Menschenrecht auf Teilhabe an politischen Prozessen hat, die ihn betreffen[2], erachtet es FIAN Schweiz als klare Menschenrechtsverletzung, dass der schweizerische Staat an den geheimen TISA-Verhandlungen teilnimmt, ohne diese vollständig offenzulegen und die Öffentlichkeit über demokratische Verfahren an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Ra’ad Al Hussein, sagte kürzlich vor dem Menschenrechtsrat: «Was die Legimität des Staates bedroht ist die Idee, dass die Regierung eine Beute ist, die gepackt, gewaltsam festgehalten und zum Nutzen einer beschränkten Gruppe ausgebeutet werden kann. Das Recht aller Mitglieder der Gesellschaft zu erodieren, vollständig an der Entscheidungsfindung teilzunehmen, bedeutet, das Fundmant zu unterminieren, auf dem jeder Staat steht: Sein Dienst am eigenen Volk.» (OHCHR, 2016)

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Entmachtung des Staates für die Machtergreifung der Privatwirtschaft

Der Grundgedanke des Abkommens – die tendenziell fortlaufende und unumkehrbare Deregulierung des Dienstleistungssektors, die tendenziell zunehmende und unumkehrbare Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen, die Nicht-Regulierung und Privatwirtschaftlichkeit sämtlicher neuer Dienstleistungsarten – ist eine gezielte Entmachtung des gemeinwohlorientierten Staates und eine konzertierte Machtergreifung der profitorientierten Privatwirtschaft.  Aus menschenrechtlicher, ethischer, politischer und staatsphilosophischer Perspektive ist diese Absicht und Stossrichtung schlicht ungeheuerlich.

Warum geben sich Staaten einschliesslich der Schweiz dazu her, über ihren eigenen Kontrollverlust zu verhandeln und ihre Entmachtung vorzubereiten? Einerseits wohl deshalb, ist zu befürchten, weil die Staaten nicht mehr selbst die volle Kontrolle über diese Abläufe innehaben, sondern Konzerne und Wirtschaftsverbände mit Lobbying und Einschleusung von Vertretern in staatliche Organe einen wesentlichen Einfluss, wenn nicht einen wesentlichen Anteil der Kontrolle übernommen haben. Andrerseits wohl deshalb, weil manche Staaten sich einem globalen Wettbewerb um Unternehmen und Investitionen hingeben und hierzu zu weitgehender Deregulierung – im Sinne des bekannten race to the bottom – bereit sind.

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Konzernverantwortungsinitiative und UN-Abkommen zu TNCs und Menschenrechten, oder: Wirtschaftsrechte versus Menschenrechte

In der Schweiz wird dieses Jahr die Konzernverantwortungsinitiative eingereicht, die Schweizer Unternehmen verpflichten will, auch im Ausland die Menschenrechte zu achten, und dies mit einer Sorgfaltsprüfungspflicht sicherzustellen. Eine Zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats hat die Ausarbeitung eines neuen Abkommens zu Transnationalen Konzernen und Menschenrechten aufgenommen. Wahrscheinlich würde TISA die Umsetzung dieser beiden Instrumente in Frage stellen, mindestens was Dienstleistungssektoren und -unternehmen betrifft. Diese Instrumente würden die Regulierungsdichte erhöhen, was gemäss Bestimmungen von TISA nicht mehr zulässig wäre.

Spätestens an diesem Punkt tritt die entscheidende Frage auf: Können Wirtschaftsrechte Menschenrechte in Frage stellen oder gar einschränken? Was hat Vorrang: Demokratisch und transparent ausgearbeitete menschenrechtliche Bestimmungen und Abkommen, oder im Geheimen ausgearbeitete Wirtschaftsabkommen, über die Parlament oder Volk erst am Schluss abstimmen?

Von UN-Konferenzen und Völkerrechtsexperten wurde mehrfach bestätigt: Menschenrechte haben Vorrang vor Handelsrechten. Die Verpflichtungen aus Menschenrechtsabkommen gehen handelsrechtlichen Bestimmungen vor. Ob sich dieser Vorrang durchsetzen wird, wird wesentlich davon abhängen, ob im Rahmen von TISA Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Konzernen und Staaten vorgesehen werden. Solche Schiedsgerichte entscheiden rein wirtschaftsrechtlich, intransparent, ohne Berufungsmöglichkeit und ausserhalb demokratischer Kontrolle. Zumindest im Moment scheinen im Fall von TISA solche Gerichte nicht vorgesehen zu sein.

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Fazit

Auch wenn die Informationslage aufgrund der Geheimhaltung unbefriedigend ist, legt der vorgenommene Versuch einer Analyse nahe, dass TISA die Rechte auf Nahrung und Wasser bedroht. Es ist abzusehen, dass weitere Menschenrechte – wie z.B. das Recht auf Gesundheit – gefährdet werden. Die laufenden Verhandlungen missachten die Menschenrechte auf Information und Teilhabe praktisch vollständig. Ein solches Abkommen ist nicht nur unbillig, sondern nichtig.

Jeder Staat hat die völkerrechtliche Pflicht, die Menschenrechte zu achten. Eines der besten Instrumente, um vorausschauend potentielle Menschenrechtsverletzungen zu erkennen und aktiv zu verhindern, sind Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen. Solche müssen nun dringend zum Einsatz kommen.

Handelsabkommen wie TISA haben nur dann eine Berechtigung, wenn sie aufgrund demokratischer Prinzipien und unter Einhaltung der Menschenrechte ausgehandelt werden und wenn sie sich nicht gegen Menschenrechte, die Entwicklung ärmerer Länder und die Interessen der Gesellschaft allgemein und verwundbarer Gruppen im besonderen wenden. Die Wirtschaft soll der Gesellschaft dienen und nicht umgekehrt.

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Die Forderungen von FIAN Schweiz

Ausgehend von Analyse und Fazit stellt FIAN Schweiz die folgenden Forderungen an den Bund auf, deren Erfüllung es dem Bund ermöglichen soll, seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Verhandlungsmandat: Der Bundesrat muss ein explizites Verhandlungsmandat erteilen, das bis anhin fehlte (das  Staatssekretariat für Wirtschaft SECO kann nicht im Rahmen des WTO-Mandats an den TISA-Verhandlungen teilnehmen, da diese eben gerade ausserhalb der WTO statt finden). Da neben dem handelsrechtlichen Inhalt auch entwicklungspolitische und menschenrechtliche Aspekte betroffen sind, müssen ebenso sehr eine Delegation des EDA und eine Delegation der Zivilgesellschaft an den Verhandlungen beteiligt sein. Die Verhandlungsposition der Schweiz muss ein Ausdruck von Politikkohärenz unter dem Primat der Menschenrechte sein. Das Verhandlungsmandat soll insbesondere auch die folgenden Forderungen berücksichtigen:

Öffentlichkeit und Partizipation: Die Schweiz muss

  1. darauf hinwirken, dass die Verhandlungen (Protokolle, Ergebnisse) zeitnah und vollständig öffentlich gemacht werden
  2. der Öffentlichkeit bzw. Zivilgesellschaft jeweils vor den einzelnen Verhandlungsrunden über demokratische Mechanismen die Möglichkeit zur echten Teilnahme an den Entscheidungsprozessen

Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung: Die Schweiz muss darauf hinwirken, dass die bisherigen Verhandlungsergebnisse und die vorgesehenen weiteren Verhandlungsinhalte umfassenden und unabhängigen Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen unterzogen werden, welche die Situation sowohl der Länder des globalen Nordens wie des globalen Südens berücksichtigen.

Moratorium: Die Schweiz muss ein Moratorium auf die laufenden Verhandlungen verlangen, das solange andauern soll, bis unabhängige Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden sind und deren Ergebnisse vorliegen, und bis in allen teilnehmenden Staaten angemessene Konsultationsmechanismen für die Öffentlichkeit eingerichtet worden sind.

Aufgabe der Stillhalte-, Sperrklinken- und Inländerklauseln sowie der Anhänge: Die Schweiz muss darauf hinwirken, dass diese Elemente aufgegeben werden, damit die Staaten sich den nötigen wirtschaftspolitischen und menschenrechtlichen Handlungsspielraum bewahren können.

Rückkehr der Verhandlungen in den WTO-Rahmen: Um eine (rechtzeitige) Mitwirkungsmöglichkeit aller WTO-Mitgliedstaaten am Vertrag zu ermöglichen, soll die Schweiz darauf hinwirken, dass die TISA-Verhandlungen im Rahmen der WTO weitergeführt werden. Diese Forderung ist aber nur als Vorstufe zur weiter unten geforderten Eingliederung der WTO in das UN-System zu verstehen.

Austritt aus den Verhandlungen: Kann die Schweiz die obengenannten Forderungen nicht innert nützlicher Frist und auf jeden Fall vor Verhandlungsabschluss umsetzen, muss sie – wie schon Uruguay und Paraguay – aus den Verhandlungen austreten, um ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen wahrzunehmen und nicht an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig zu werden.

Eine weitere Forderung, die sich an alle Mitgliedstaaten der WTO richtet, betrifft die WTO insgesamt:

Eingliederung der WTO in das UN-System: Damit die WTO menschenrechtsverträglich handelt, soll sie in das UN-System eingegliedert werden. Eigentlich besteht in der UNO mit der UNCTAD, der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, bereits ein Gefäss, das sich mit dem Welthandel befasst. «Es ist Zeit, dass die Welthandelsorganisation (WTO) in das System der Vereinten Nationen eingegliedert und den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta untergeordnet wird. Eine solche Eingliederung gemäss den Artikeln 57 und 63 der Charta würde sicherstellen, dass sich die WTO reorientieren müsste, um den internationalen Handel für die Menschenrechte und nicht gegen sie arbeiten zu lassen», befand kürzlich der UN-Experte für die Förderung einer demokratischen und gerechten Weltordnung, Alfred de Zayas (OHCHR 2015b).

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Quellen und weitere Informationen

Quellen

Alliance Sud, 2014: TISA: Deregulierung an allen Fronten.

Attac Deutschland, 2015: CETA, TTIP, TISA: Die wirklich falschen Freunde.

Food & Water Europe, 2015: Trading Away Public Water. Trade Negotiations and Water Services.

Herrmann, Ulrike, 2016: Wie die Armen durch Freihandel entmachtet werden. In: Borsani, Fausta und Gröbly, Thomas, 2016: Zwischen Fairtrade und Profit. Stämpfli Verlag, Bern.

IUF (International Union of Food, Agricultural, Hotel, Restaurant, Catering, Tobacco and Allied Workers‘ Associations), 2014: The Tisa Threat to Food and Agriculture.

Krumm, Wolfgang, 2015: GATS und die Wasserversorgung: Die Privatisierung der städtischen Wasserversorgung in Entwicklungsländern. Hamburg, Diplomatica.

OHCHR (Office of the High Commissioner for Human Rights), 2015a: Independent Expert calls for an end to secret negotiations of free trade and investment agreements until public consultation and participation is ensured and independent human rights impact assessments are conducted.

OHCHR (Office of the High Commissioner for Human Rights), 2015b: UN expert calls for fundamental rethink of global trading system.

OHCHR (Office of the High Commissioner for Human Rights), 2016: Statement by Zeid Ra’ad Al Hussein, United Nations High Commissioner for Human Rights, to the Human Rights Council’s 31st session.

Public Services International, 2014: TiSA contra öffentliche Dienste.

SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft), undatiert: Themenseite «TISA» in der Website des SECO

Syndicom, 2015: Einmal verkauft – immer verkauft. Mitteilung vom 1. August 2015 auf der Website.

VPOD (Verband des Personals Oeffentlicher Dienste), undatiert: Seite «So funktioniert TISA» in der Website des VPOD zu TISA

Wikileaks, 2015: Trade in Services Agreement (TiSA) Core Text (April 2015). Neuere Fassung: TiSA
Trade in Services Agreement Draft Provisions – 21 June 2016

Wikileaks, 2015: Analysis of TiSA Core Text.

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Vorstösse im Bundesparlament

Die Website des Seco führt folgende parlamentarische Interventionen im Zusammenhang mit TISA auf:

Websites zu TISA

Website des VPOD zu TISA (inkl. Blog-Abo)

Themenseite «Trade in Services Agreement (TISA)» in der Website von Public Services International

Themenseite «Trade in Services Agreement» in der Website von Wikileaks

Themenseite «TISA» in der Website des SECO

[1]     Im Folgenden wird das Recht auf Wasser – als Bestandteil des Rechts auf Nahrung – nicht mehr separat erwähnt, ausser es geht spezifisch nur um dieses Recht.

[2]     Art. 19 und 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; Art. 19 und 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, Allgemeiner Kommentar Nr. 34 des Menschenrechtsausschusses

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Veranstaltung «Freihandel, TISA und das Recht auf Nahrung» vom 24. Februar 2016

TISA event 2016-02-24FIAN Schweiz hat mit finanzieller Unterstützung von Fastenopfer und Brot für alle diese Veranstaltung durchgeführt.

► zur Veranstaltungseinladung: Flyer / auf Facebook

Ablauf und Präsentationen zum Download:

Flyer converted